2. Der „Stern von Afrika“

Marseille. Eine Stadt in Frankreich, an der Mittelmeerküste. Woran die jungen britischen, australischen und südafrikanischen Piloten der Royal Air Force (RAF), Royal Australian Air Force (RAAF) und South African Air Force (SAAF) im Jahr 1940 wohl denken, wenn sie den Namen „Marseille“ hören?

An eine Strandpromenade mit Mittelmeerflair, laue Sommerabende, prickelndes Nachtleben? Es läge altersgemäß wohl nahe. An hübsche französische Mädchen mit ihrem unwiderstehlichen Charme?

Jedenfalls sicher nicht an gegnerische Jagdflieger oder Luftkämpfe!

Auch er hat Charme, der gerade 20 Jahre alte Berliner mit den französischen Hugenotten als Vorfahren. Hans-Joachim Marseille hat geradezu umwerfenden Charme. Er stammt aus einer alten Offiziersfamilie, wenn auch seine Mutter bald genug davon hatte, seinen Vater so selten zu sehen. Die Folge war eine Scheidung gewesen. Und das Bedürfnis des eher schmächtigen Jungen, seine als anders und benachteiligt empfundene Situation den Schulkameraden gegenüber irgendwie wettzumachen.

Jochen, wie sein privates Umfeld den langen Namen „Hans-Joachim“ gemeinhin abkürzt, ist clever, witzig – und renitent! Seine Streiche sind bei den Kameraden respektiert – und bei den Lehrern gefürchtet. Erst eine psychologisch gut gewählte Standpauke seines langjährigen Lehrers Studienrat Dr. Paetzold bringt den Jungen einigermaßen zur Räson. Als er sein Abitur macht, ist aus dem Flegel ein wohlerzogener, gewinnender junger Mann mit gewandten Umgangsformen geworden. Der natürlich trotz allem immer noch für einen netten kleinen Streich zu haben ist ...

Jochen meldet sich zur Luftwaffe. Dass er Offizier werden will, wie sein Vater, das steht selbstverständlich fest. Nach dem Arbeitsdienst wird Hans-Joachim Marseille im März 1939 als Fahnenjunker in die deutsche Luftwaffe übernommen. In Fürstenfeldbruck wird ihm das Fliegen beigebracht.

Und schon liegt wieder Ärger in der Luft. Kaum hat er seinen ersten Alleinflug absolviert, geht der Ehrgeiz schon mit ihm durch. Eine Platzrunde zusammen mit einigen Mitschülern ist Jochen viel zu langweilig. Er fegt im Tiefflug über den Horst und leitet sodann übermütig einen Schau-Luftkampf ein.

Ein grober Verstoß gegen die disziplinarischen Grundregeln, ohne Frage. Aber doch gut geflogen, das muss man zugeben. Jedenfalls ist ein strenger Verweis angebracht!

In Wien-Schwechat werden die angehenden Jägerpiloten auf dem modernen Flugzeugtyp Messerschmitt Bf 109 E geschult. Jochen ist begeistert. Diese Maschine – diese enorme Kraft! Bald fliegt Marseille die „109“ so sicher wie ein routinierter Pilot. Seine Beurteilung ist ein Kompliment. Er sei „als Flugzeugführer besonders befähigt“ und ein „besonders passionierter Jagdflieger“, steht da geschrieben. Auch seine Kameraden gewinnen Respekt vor Marseilles Flugkünsten. „Gebt dem Jochen Flügel – und er hebt ab und fliegt los“, sagt einer seiner Mitschüler über ihn.

Am Boden allerdings ist der Überflieger weniger souverän im Umgang mit den militärischen Steuerinstrumenten. Oftmals hat er etwas gutzumachen – was ihm regelmäßig den ungeliebten Wochenenddienst einbringt. Jochen löst das Problem auf seine Art. Es hängt dann halt ein Zettel an der Türe, wie der spätere Major Werner Schrör zu berichten weiß. „Bin ausgegangen. Mach Du für mich Dienst!“ Eine Frechheit eigentlich. Doch Jochen kann man einfach nicht böse sein.

Ein Überlandflug – es ist Sommer, strahlendes Blau leuchtet vom wolkenlosen Himmel. Marseille sitzt im Cockpit seiner Me 109. Plötzlich hat er ein Problem. Es wird immer schlimmer, der Flüssigkeitsdruck nimmt zu. Das Problem kommt von unten.

Es konzentriert sich etwa in der Gegend der Blase ...

Marseille sehnt sich seinem Zielflughafen entgegen. Wenn nur endlich dessen Startbahn auftauchen würde. Der Pilot wird unruhig. Diese Startbahn, die Betonpiste – so schön wie die leere gerade Autobahn da unter ihm.

Leere gerade Autobahn? Marseille kommt da eine Idee! Kein Fahrzeug ist zu sehen!

Erschrocken und hilfsbereit eilen die Bauern von den nahe gelegenen Feldern zur Autobahn, um dem Piloten in der offenbar notgelandeten Jagdmaschine da erste Hilfe zu leisten. Doch der hat sich bereits selber geholfen und zieht soeben wieder seinen Fliegerkombianzug zu. Die verblüfften Bauern sehen gerade noch, wie der Propeller des Flugzeuges sich immer schneller zu drehen beginnt. Dann setzt sich die Maschine in Bewegung. Der Pilot winkt – und hebt ab. Sichtlich erleichtert!

Am nächsten Morgen ist die Geschichte bekannt. Auch seinem Kommandeur. Und seiner Personalakte ...! Diese wird dicker und dicker.

Dennoch – Marseilles Talent als Pilot kann nicht bestritten werden, allen Eskapaden zum Trotz. So ist er mit dabei, als von den Geschwadern an der Kanalküste gute Nachwuchspiloten angefordert werden. Frankreich ist besiegt, es wurde in einem Blitzfeldzug nie gekannter militärischer Virtuosität von den deutschen Panzerverbänden und Infanteriedivisionen niedergeworfen, welche in einer völlig neuen Dimension durch die deutsche Luftwaffe unterstützt worden waren. Die Wehrmachtstruppen des Deutschen Reiches haben nach Polen, Dänemark und Norwegen nun auch Holland, Belgien, Luxemburg und Nordfrankreich besetzt und die in Frankreich stationierten britischen Verbände in Dünkirchen ins Meer getrieben. Das Selbstbewusstsein der deutschen Soldaten ist auf seinem Höhepunkt – alles erscheint möglich zu sein. Deutschland ist im Rausch der Unbesiegbarkeit.

Am 12. August 1940 trifft Marseille in Calais-Marck ein, dem neuen Standort der I. Gruppe des (Jagd-) Lehrgeschwaders I. Die I.(J)/LG 2 steht vor Beginn ihrer Einsatztätigkeit. Er wird als Rottenflieger (so genannter „Katschmarek“) einem Schwarmführer zugeteilt. Es ist Oberfeldwebel Helmut Goedert.

Schon am nächsten Tag wird es ernst. Adlertag – der Beginn der „Luftschlacht um England“, wie man den Sturmangriff der deutschen Luftwaffe auf die britische Royal Air Force später nennen wird. Ohne die Luftherrschaft über der britischen Insel ist ein Landungsunternehmen über den Ärmelkanal hinweg zu riskant. Ein Landungsunternehmen, welches Adolf Hitler zuwider ist – er hat ganz andere Pläne. Da die störrischen Briten jedoch allen verlockenden Friedensangeboten zum Trotz partout nicht aufgeben wollen, wird man wohl nicht darum herumkommen, die Insel zu erobern. Also muss die britische Luftwaffe ausgeschaltet werden, koste es, was es wolle.

Marseille sieht sie als Erster. „Indianer halblinks voraus, Entfernung zehntausend, dreihundert Meter unter unserer Höhe!“ Nach einer kurzen Pause präzisiert der Neuling: „etwa zehn Maschinen!“. Die britischen Jäger drehen zum Angriff ein auf die Ju 87-Sturzkampfbomber, „Stukas“, deren Schutz die Messerschmitt-Jäger der I.(J)/LG 2 übernehmen sollen. Es ist die IV.(Stuka)/LG 1 und II./StG 1. Goedert ist entschlossen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Mit aufheulenden Motoren stürzen sich die Me 109 auf die britischen Jäger. Marseille hält sich weisungsgemäß hinter Goedert und versucht, ihm den Rücken freizuhalten. Prompt erkennt er einen Gegner, der seinen Schwarmführer geschickt umkurvt hatte und nun dabei ist, sich in Schussposition zu manövrieren. Marseille muss ihn davon abhalten! Er feuert aus dreihundert Meter Entfernung – für einen erfahrenen Piloten eine gute Schussdistanz. Doch soweit ist Marseille noch nicht.

Immerhin erreicht der junge Deutsche, dass sein britischer Kollege von Goedert ablässt. Und sich dafür prompt mit ihm beschäftigt! Marseille zwingt seine Messerschmitt in eine Steilkurve nach oben und fliegt in einer Messerkurve – genau dorthin, wo sein Gegenüber es vermutet hatte. Es knallt kurz in Marseilles Flugzeug – nur kurz, denn Jochen hatte im letzten Moment das Mündungsfeuer an den Tragflächen seines Gegners gesehen und hatte seinen Jäger ruckartig nach unten gedrückt. Die Geschosse fliegen überwiegend knapp über seinem Cockpit vorbei. Gut, gut. Marseille behält die Nerven. Eine geschickt geflogene Rolle – so – noch ein bisschen - und nun ist Jochen in Angriffsposition. Doch auch Marseilles Geschosse treffen nicht.

Goederts Worte tun dem jungen Nachwuchspiloten gut, als er – doch etwas ernüchtert über die Wirklichkeit des Krieges – zurück am Fliegerhorst aus seinem Jagdflugzeug klettert. „Danke, Jochen! Du warst mir eine große Hilfe! Das hätte böse enden können!“

Auch für Jochen, das hatte sich inzwischen in Marseilles Bewusstsein eingegraben!

Marseille lernt dazu, erfüllt seine Aufgabe in der Deckungsposition für seinen vorausfliegenden Schwarmführer immer besser. Am 24. August 1940 ist es dann soweit. Marseille sieht sie wieder als Erster. Sie sind etwa zehn Kilometer entfernt und drehen zum Angriff ein. „Achtung – Spitfire!“

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Marseille vor seiner Messerschmitt Bf 109.*1

Einer der schnellen und wendigen britischen Jäger hat sich Marseille zum Opfer auserkoren. Jochen zieht hoch. Eine halbe Rolle – dann die andere Hälfte. Vorhalten – noch etwas mehr – jetzt! Jochens Instinkt für den richtigen Vorhaltewinkel beginnt, sich auszuwirken.

Dieser Winkel ist eine der Hauptschwierigkeiten im Luftkampf Jäger gegen Jäger. Er bleibt es bis Kriegsende, obwohl er auf beiden Seiten gegen Ende des Luftkrieges von ausgeklügelten Zieleinrichtungen auf der Basis von eigener Geschwindigkeit, Kurvenradius und Größe sowie Entfernung des Gegners errechnet und optisch als Zielpunkt im (Reflex-) Visier angezeigt wird. Denn die Geschosse benötigen eine kurze, doch ins Gewicht fallende Zeit, um ihr Ziel zu erreichen. In dieser kurzen Zeit aber ist das Ziel, der feindliche Jäger, bereits weitergeflogen.

Fliegt das gegnerische Flugzeug stur geradeaus vor dem Verfolger her, so ist das Zielen leicht. Ein Vorhalten ist dann nicht nötig. Aus diesem Grund bevorzugen viele spätere Asse – genannt seien der Deutsche Walter Krupinski, von ihm lernend Erich Hartmann und der Amerikaner Leonard ‚Kit’ Carson – die möglichst unbemerkte Annäherung an den Gegner auf allernächste Distanz, um mit einem einzigen kurzen, aber vernichtend im „Schwarzen“ sitzenden Feuerstoß die Feindmaschine zu „erledigen“.

Im Kurvenkampf sieht dies anders aus (hier Me 109 E img Hurricane).

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Falsch: der Verfolger feuert ohne Vorhaltewinkel direkt in gerader Linie auf die Position des Flugzeuges vor ihm, welches aber in einer Kurve fliegt, also relativ zum Verfolger in einem anderen Winkel! Zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschosse die vormalige Position des verfolgten Flugzeuges erreicht haben, ist dieses aus der Schussbahn geflogen ... !

Richtig: Der Verfolger schätzt den richtigen Vorhaltewinkel und feuert in die erwartete Flugbahn des Gegners vor dessen Flugzeug. Der Verfolgte fliegt zwangsläufig in die Geschossgarben hinein – sofern der Vorhaltewinkel stimmt. Dieser hängt vom Kurvenradius und der Fluggeschwindigkeit beider Flugzeuge ab. Spätere Zieleinrichtungen helfen mit!

Marseille schießt in dem Moment, in dem er spürt, dass seine Geschosse treffen würden. Und sie treffen! Der Instinkt des Schützen hatte Jochen nicht getrogen. Doch viel Schaden richten sie offenbar nicht an. Das Ringen dauert fünf schwere Minuten, in denen beide Piloten umeinander herumkurven und versuchen, in Schussposition zu kommen. Jeder der beiden lauert auf den entscheidenden Fehler des anderen. Marseille fliegt einen Looping, auf dem höchsten Punkt kippt er seine „Emil“ ab. Jochen beherrscht die Me 109, das muss man ihm lassen. In einem steilen Abschwung stürzt Marseille auf die Spitfire zu – und drückt auf den Auslöseknopf seiner Waffen. Diese Garbe trifft voll.

Als Jochen sein Jagdflugzeug wieder abfängt, trudelt sein Gegner brennend in den Ärmelkanal. Und Goedert gratuliert per Sprechfunk zu Hans-Joachim Marseilles erstem Abschuss.

Es sollte nicht der letzte sein!

Natürlich unterhält sich Jochen mit seinen Kameraden über den Abschuss. Als er zugibt, dass ihm der britische Pilot irgendwie leid getan habe, warnt ihn sein Schwarmführer eindringlich. Wenn er auch nur eine Sekunde im Luftkampf durch Mitleid verliere, dann könne das die entscheidende sein, die den Gegner schneller macht. „Wenn Du nicht schnell genug schießt und ebenso schnell aus dem Visier des Gegners verschwindest, dann bist Du selber das Opfer!“

Am 2. September 1940 folgt die nächste Spitfire der ersten brennend in Richtung Erdboden. Doch auch Marseilles Me 109 ist getroffen. Jochen schafft es zurück über den Kanal und bringt seine Messerschmitt in der Nähe einer deutschen Flak-Stellung bei Kap Gris Nez zwischen den Strand-Dünen in einer Bruchlandung zu Boden. Unverletzt steigt er aus seinem zerschlissenen Jagdflugzeug, eine Messerschmitt Bf 109 E-1 ( img, Werknummer 3579). Der Grad der Beschädigung ist 50 % ...

Marseille erhält erstmals eine Auszeichnung, das Eiserne Kreuz II. Klasse. Wenige Tage später, am 11. September 1940, schießt Marseille seinem inzwischen zum Stabsfeldwebel beförderten „Papa“ Goedert wieder eine Spitfire vom Heck – gerade noch. Das war knapp! Doch der Brite hatte sich im Laufe des Luftduells revanchiert, als Marseille nach den ersten gut gezielten Treffern an der geschickt ab- und sofort wieder eindrehenden Spitfire vorbeizog. Der Pilot des britischen Jagdflugzeuges nutzt seine Chance und feuert – im richtigen Moment. Marseilles Me 109 E-7 (Werknummer 5597) erhält nun ebenfalls Treffer. Wenig später hat Jochen sich erneut in Schussposition gekurvt – er gibt dem angeschlagenen Widersacher den Rest. Die Spitfire stürzt brennend ab. Sie zerschellt beim Aufprall.

Und Marseille wird von dem Kommandeur der Flak-Stellung beim Kap Gris Nez herzlich wie ein alter Bekannter begrüßt, als er an fast derselben Stelle *2 aus seiner bauchgelandeten Maschine steigt. Der Grad der Beschädigung ist 75 %. Sprich: Totalausfall, denn die Reparatur lohnt sich hier nicht mehr.

Jochens Staffelkapitän dagegen empfängt ihn mit deutlichem Stirnrunzeln und erhobenen Augenbrauen. Er habe ja wohl erneut einen Gegner abgeschossen, meint er, nun gut. Doch wenn er für jede abgeschossene Spitfire eine eigene Maschine schrotte, sei das für die Staffel irgendwann dann doch etwas zu teuer ...! Vielleicht möge er doch etwas besonnener mit Deutschlands Vermögenswerten umgehen in Zukunft! „Also, bitte, etwas mehr Wägen und weniger stures Draufgängertum!“

„Jawoll, Herr Oberleutnant“. Marseille mimt den Zerknirschten. Das kann er gut!

„Na ja – immerhin haben Sie Goedert gut geholfen“. Oberleutnant Adolf Buhl klingt schon viel kameradschaftlicher. Marseilles Charme hat mal wieder seine Wirkung nicht verfehlt. Jochen kämpft mit vielerlei Waffen virtuos.

Am 15. September 1940 wird die Genialität seiner Schießkünste zum ersten Mal in vollem Umfang deutlich. Jochen erzielt den ersten Luftsieg auf die ihm eigene, von keinem anderen Piloten je erfolgreich nachgeahmte Art. Es ist eine Hawker „Hurricane“, die er nach fünf gefährlichen Minuten Kurvenkampf über der Themsemündung abschießen kann. Marseille reißt unvermittelt sein Jagdflugzeug in einen extremen Steigflug, um die Maschine unmittelbar danach in einen ebenso steilen Sturzflug abschmieren zu lassen. In Sekundenbruchteilen huscht die Hurricane durch sein Visier. Es ist der Moment, in dem die Salve des Fähnrichs Marseille die Flugbahn des britischen Jagdflugzeuges kreuzt. Sie trifft die Hurricane mit voller Wucht. Marseille hatte im exakt richtig erfassten Augenblick unmittelbar vor diesem Moment auf den Feuerknopf gedrückt.

Marseille erhält das Eiserne Kreuz I. Klasse. Und übt an seiner Spezialtaktik – dem Treffen eines Gegners aus Winkeln, welche es jedem mit normalen Augen gesegneten Piloten unmöglich machen, den Vorhaltewinkel auch nur annähernd korrekt zu schätzen. Doch Marseille schätzt nicht – trotz seiner bemerkenswert guten Augen. Er erfasst den richtigen Moment intuitiv. Am 18. September 1940 fällt ihm erneut eine Spitfire zum Opfer. Inzwischen fliegt Jochen selbst als Rottenführer.

Und doch – ohne das Glück des Tüchtigen helfen weder fliegerische Fähigkeiten noch Schießkünste. Der 23. September 1940 führt zu einem schweren Rückschlag in Jochens aufkeimendem Selbstbewusstsein. Er fliegt jetzt eine Me 109 E-7 mit der Werknummer 5094. Es ist wie verhext, seit Wochen schießen sie einen britischen Jäger nach dem anderen vom Himmel, und es werden immer mehr Gegner statt weniger. Marseille ist hinter einer Spitfire her, als ihn zwei Kameraden des Verfolgten in die Zange nehmen. Mit dem Instinkt des Jägers spürt Marseille, dass er abdrehen muss. Sekunden später sieht er Leuchtspurgeschosse dort, wo seine Me 109 sich nun befinden würde, hätte er nicht im letzten Moment die Kurve gekriegt. Es sind die Geschosse des von links kommenden Angreifers, die vergeblich nach ihm greifen. Und doch kracht es plötzlich in Jochens Jagdmaschine – gründlich. Bei seinem Ausweichmanöver war er dem anderen, von rechts kommenden Spitfire-Piloten direkt vor die Rohre geflogen.

Marseille kann die Verfolger abschütteln, „nach Hause“ schafft er es nicht. Unmittelbar hinter der britischen Küste dringt Rauch in die Kabine, der Motor stottert. Jochen muss mit dem Fallschirm abspringen. Merkwürdig, erst wenige Tage zuvor hatte er einen „alten Hasen“ darauf angesprochen, wie genau man dies am sichersten tut – aus dem Flugzeug springen. War es eine Vorahnung gewesen? Die Methode des Oberfeldwebels hatte ihn jedenfalls nicht überzeugt. Besser, als der Maschine im Horizontalflug durch ruckartigen Schlag nach vorne gegen den Steuerknüppel einen Impuls nach unten zu geben und nach oben aus der abtauchenden Messerschmitt herauszuspringen, scheint es für Marseille, das Jagdflugzeug auf den Rücken zu legen und sich einfach herausfallen zu lassen – um nicht am Heckleitwerk anzuschlagen. Gesagt – getan. Es funktioniert. Er landet im Wasser des Ärmelkanals, befreit sich von den Gurten und taucht unter dem auf der Wasseroberfläche ausgebreiteten Tuch des Schirmes durch. Dann ist er freigekommen und bläst seine Schwimmweste auf.

Nur 20 Minuten später entdeckt der Beobachter eines deutschen Seenotrettungsflugzeuges vom Typ Heinkel He 59 den winkenden deutschen Piloten. Das Schwimmerflugzeug geht auf dem Wasser nieder und nimmt Marseille an Bord. Glück muss der Mensch haben! Offenbar erliegt auch Jochens Schutzengel seinem jungenhaften Charme. Doch Jochen „kaut“ noch sehr lange an diesem Erlebnis.

Am 27. September 1940 ist Marseille – nervlich deutlich angeschlagen, aber entschlossen, seine Angst zu überwinden – wieder in der Luft, und wird abermals einer Hurricane zum Verhängnis. Sie zerbirst unter Marseilles Salven in ihre Einzelteile, welche die Me 109 des Schützen knapp verfehlen.

Der 28. September 1940 bricht an. Marseille sieht eine Spitfire, die etwa 1.000 Meter tiefer fliegt. Er lässt sich hinter sie durchsacken und „hängt“ nun noch 200 Meter über ihr an ihrem Heck. Als der britische Pilot die Gefahr erkennt, zieht er in einer Rechtskurve weg. Doch es ist bereits zu spät. Marseille hält im richtigen Winkel vor und feuert im passenden Moment. Die Spitfire brennt sofort.

Dann nimmt sich der deutsche Fähnrich die nächste Spitfire vor. Doch deren Pilot schießt schneller als Marseille ...

Der wiederum trinkt einige Zeit später mal wieder gemütlich Kaffee mit einem gewissen Hauptmann einer Flak-Stellung am Kap Gris Nez.

Als ihn der Wagen des Stabsarztes seiner Staffel abholt, wird Marseille grinsend von dem Mediziner gefragt, ob er in Zukunft vielleicht in den Dünen bei der Flak am Strand gleich auf ihn warten solle?

Anfang Oktober 1940 wird Marseille zur 4. Staffel des Jagdgeschwaders 52 (4./JG 52) versetzt. Staffelkapitän dieser Staffel ist Oberleutnant Johannes Steinhoff. Der Gruppenkommandeur der I.(J)/LG 2, Hauptmann Herbert Ihlefeld, gibt dem Fähnrich eine sehr gute Beurteilung auf den Weg, welche außer einigen „vorlauten Bemerkungen“ nur positive Aussagen zu seinem Betragen und seinen militärischen Leistungen enthält.

Doch das sollte sich nun ändern. Oberleutnant Steinhoff ist von völlig anderer Natur als Marseilles bisherige Vorgesetzte, die Jochens geradlinige, ehrliche und charakterlich aufrechte Art mehr schätzten als ein paar Unbotmäßigkeiten und Regelverstöße. „Bei Fähnrichen übliche Flausen“ habe Marseille im Kopf gehabt, so hatte es sein bisheriger Staffelkapitän Oberleutnant Adolf Buhl augenzwinkernd gesehen. „Die habe man ihm ohne unnötige Demütigungen schnell ausgetrieben“. Doch Oberleutnant Buhl ist inzwischen gefallen, am Freitag, den 27. September 1940. Nach Luftkampf mit einem größeren Hurricane-Verband stürzt er an Bord seiner Me 109 E-7 in den Kanal.

Das mit den Flausen sieht und handhabt Steinhoff anders. Von Anfang an stört den neuen Staffelkapitän alles an Marseille – die verwaschene Fliegerbluse, der zu lange Haarschnitt, sein burschikoses Auftreten. Steinhoff erwartet Gehorsam und Disziplin, keine lasch-legeren Individualisten.

Er erwartet Unterordnung auf eine Art, die sich in allen Belangen von den Wertvorstellungen Marseilles unterscheidet. Dies wird bei einem Einsatz deutlich, in welchem der ehemalige Rottenführer Marseille nun wieder in der Deckungsposition für andere Rottenführer fliegen muss. Das ist schwer zu ertragen für einen bereits erfolgreichen Jagdflieger, der nun zusehen soll, wie ihm andere Kameraden vorgezogen werden und zu Abschusserfolgen kommen, denen er dafür den Rücken freihalten soll – eine Aufgabe, die üblicherweise Unerfahreneren als ihm zugeteilt wird.

Es sind 18 Me 109 unter Steinhoffs Führung, die plötzlich von etwa 40 britischen Jägern angegriffen werden. Marseilles Rottenführer gibt den Befehl zum Rückzug. „Kehrt und nichts wie weg!“ In den Ohren Marseilles ist das eher eine Flucht! „Feigheit vor dem Feind“, nennt man das – oder etwa nicht? Prompt hängt sich eine britische Hawker „Hurricane“ seinem Rottenführer an die Fersen, als dieser abdreht. Und der merkt es nicht einmal! Marseille überlegt nicht lange, wartet auch keine Anweisung ab, sondern sieht es als seine Aufgabe an, den Rottenführer zu beschützen. Es ist auch seine Aufgabe als „Katschmarek“! Also schert er aus der Position im geschlossen fliegenden Verband aus, schneidet dem Rottenführer den Weg ab und dreht in die Flugbahn der angreifenden Hurricane ein. Marseille schießt – und trifft. Flammen schlagen aus dem britischen Jäger, der zur Erde stürzt.

Das stolz erwartete Lob, die Auszeichnung für diese fliegerische Glanzleistung und bravouröse Rettungsaktion besteht zu Marseilles Verblüffung in einer Bestrafung wegen Befehlsverweigerung und drei Tagen verschärftem Arrest.

Marseille wehrt sich, rechtfertigt sich. „Ich war am nächsten dran, und mein Rottenführer war in höchster Gefahr, Herr Oberleutnant!“

„Sie sollten weiterfliegen und hatten außerdem Schießverbot! Die Hurricane hätten auch andere abschießen können!“

Marseille – ausgerechnet Jochen, für den Gerechtigkeit die Basis seines Wertegerüstes ist – und nun das! Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit! Das ist Vorsatz, das ist bewusste Demütigung. Das darf nicht sein! Das hatte er nicht verdient!

Wer ist dieser junge Mann, der unkonventionelle Berliner? Hochintelligent und begabt – und doch tief im Inneren immer noch unsicher, manchmal bubenhaft kindisch, auf der Suche nach seiner Identität. Getrieben von dem sehnlichen Wunsch nach Anerkennung. Welcher junge Mensch hat dieses Bedürfnis nicht? Doch Marseilles Wunsch nach Akzeptanz hat tiefere Wurzeln als bei seinen Altersgenossen. Was tut er nicht alles, um ein guter Kamerad, bewunderter Kumpel, erfolgreicher Jagdflieger und strahlender Held zu sein? Seine Eltern können stolz auf ihren Sohn sein! Vor allem seine Mutter, denn das Verhältnis zu seinem Vater lässt an Innigkeit zu wünschen übrig!

Und nun bringt ihn ein unsensibler Staffelkapitän, der ihn einfach nicht verstehen will, um alle Früchte seiner andauernden inneren Kämpfe! Es ist eine seelische Katastrophe für den jungen Fähnrich, die Hölle auf Erden. Jochen fühlt sich von Steinhoff verfolgt – nicht ganz zu Unrecht. Was er auch tut, Marseille kann es seinem Vorgesetzten nie recht machen.

Als die anderen Fähnriche zum Oberfähnrich befördert werden, wird Marseille als einziger Fähnrich des gesamten JG 52 übergangen. Er sei zum Offizier nicht geeignet, schreibt Steinhoff in seiner Beurteilung. Er ist gewillt, dem eigenwilligen jungen Piloten das bedingungslose Gehorchen beizubringen.

Marseilles Selbstbewusstsein als Flieger ist in einer tiefen Krise. In welcher der junge Mann das tut, was junge Männer mit solcherart angeschlagenem Selbstbewusstsein eben tun – erst recht mit dem umwerfendem Charme, der Jochen eigen ist. Britische Spitfire und Hurricanes erliegen ihm nun nicht mehr, dazu hatte ihm Steinhoff jeden Mut genommen. Umso mehr die französischen Mädchen.

Wie viel an den Geschichten wirklich dran ist, die Jochen im fast verzweifelten Bemühen, sein beschädigtes Image aufzupolieren, seinen Staffelkameraden auftischt, wird sich wohl nie mehr klären lassen. Jedenfalls ist er laut Steinhoff morgens nach dem Ausgang oft so müde, dass man einen Feindflug nach den wenigen Stunden Schlaf nicht verantworten kann. „Macky“ Steinhoff explodiert. Man könne sich auf Marseille nicht verlassen, so soll er dessen Kapriolen kommentiert haben. Mit der Folge von Sanktionen ...

Es nützt alles nichts. Aus dem Kameraden, der für seine Staffel buchstäblich durchs Feuer fliegen würde, ist ein verstockter Rebell und heimlicher Quertreiber geworden. Da kommt Steinhoff die Chance mehr als gelegen, seinen Intimfeind an das Jagdgeschwader 27 loszuwerden. Marseille fällt ein Stein vom Herzen.

Am 21. Februar 1941 meldet sich Hans-Joachim Marseille bei Hauptmann Eduard Neumann, Staffelkapitän der 3. Staffel (I. Gruppe) des JG 27. Mit einer Personalakte, die bemerkenswerte Dimensionen angenommen hatte.

Es sind ähnliche Dimensionen wie die der deutschen Verluste gegen die Royal Air Force, der es trotz ebenso schmerzlicher eigener Ausfälle letztlich doch gelungen war, sich zu behaupten. Und somit die Invasion Englands durch deutsche Truppen zu verhindern.

Genau zwei Monate später, am 21. April 1941, ist Neumann Gruppenkommandeur und steht in Ain-el Gazala – etwa 70 Kilometer westlich von Tobruk. Seit drei Tagen befindet sich seine Gruppe hier, in der libyschen Wüste. Die Piloten hausen in Zelten. Umringt von Skorpionen und Sand.

Nicht von Mädchen.

Ob Steinhoff den jungen Berliner mit Absicht in die Wüste geschickt hat? Ob er wusste, dass Marseille mit dem JG 27 dorthin gelangen würde, wo es weit und breit keine hübschen Französinnen gibt?

Die Piloten der britischen Wüstenluftwaffe würden ihn dafür verwünschen. Und viele der englischen, südafrikanischen und australischen Mädchen, die in den folgenden eineinhalb Jahren um ihre Männer trauern müssen, auch.

Deutschlands schneller Sieg über Frankreich im Jahr 1940 hat die geostrategische Lage im Mittelmeerraum schlagartig verändert. Bis zu Frankreichs Niederlage gegen die deutsche Wehrmacht hatte sich Adolf Hitlers engster Verbündeter, der italienische Diktator Benito Mussolini, im Mittelmeer einer Übermacht gegenüber gesehen. Die französische Flotte mit ihren Stützpunkten in Frankreich selbst, in Oran in Französisch-Nordafrika (Algerien) und in Beirut (Syrien) sowie die britische Flotte mit ihren Stützpunkten in Gibraltar, Malta und am Suez-Kanal waren eine überlegene Streitmacht gewesen. Seit dem Fall Frankreichs am 22. Juni 1940 ist die französische Flotte nun neutralisiert. Die Deutschen haben in Vichy in Südfrankreich eine beschränkt selbstständige französische Regierung unter Marschall (Maréchal) Pétain installiert, die jedoch mit den Deutschen sympathisiert, zusammenarbeitet und im Übrigen unter deutscher Überwachung steht. Sie kontrolliert im Rahmen ihrer eingeschränkten Souveränität den Süden Frankreichs sowie die meisten der französischen Kolonien und Besitzungen in Übersee. Außenpolitische Alleingänge gegen Deutschlands Interessen hätten sofort Interventionen, nötigenfalls den Einmarsch deutscher Truppen zur Folge – das weiß man. Es gibt andererseits noch so genannte „freifranzösische“ Truppen unter einem gewissen General de Gaulle, welche den Kampf gegen Deutschland von Großbritannien aus weiterführen wollen. Doch viel haben die nicht unter Kontrolle. Vor allem nicht die französische Flotte. Diese Schiffe hat Mussolini also nicht mehr zu fürchten.

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Messerschmitt Bf 109 E-7/trop der I./JG 27 in Begleitschutzmission für Ju 87 B „Stukas“ der II./StG 2. Diese Me 109 E-7/trop wird im Frühsommer des Jahres 1941 von Oberleutnant Ludwig Franzisket, dem Gruppenadjutanten, geflogen.

Es bleibt die britische Flotte – doch die steht Mitte 1940 enorm unter Druck, da Hitlers Truppen sich anschicken, den Ärmelkanal zu überqueren. Wer – außer der britischen Luftwaffe und der Royal Navy – sollte das verhindern? Die Briten können es sich nicht leisten, die Marineverbände um die britische Insel herum weiter zu schwächen, um allzu viele Verstärkungen ins Mittelmeer zu schicken – zumal sich die deutschen U-Boote mehr und mehr zu einer ernsten Bedrohung für Großbritanniens lebenswichtige Versorgungsrouten über den Nordatlantik entwickeln und somit Seestreitkräfte zum Schutz der Frachter erforderlich machen. Auch deutsche Schlachtschiffe und Kreuzer stellen für diese Geleitzüge eine enorme Bedrohung dar, welche britische Kampfschiffe im Nordatlantik bindet.

Italien ist somit über Nacht zur stärksten Marinemacht im Mittelmeer geworden – zumindest auf dem Papier. Denn der wahre Wert von Mussolinis Schiffen würde sich erst beweisen müssen.

Der italienische „Duce“ nützt im Sommer 1940 die Gunst der Stunde und erklärt England und dem bereits so gut wie besiegten Frankreich am 10. Juni 1940 den Krieg – zwölf Tage vor Frankreichs Kapitulation. Italienische Truppen überschreiten die Grenze. Doch Nizza können sie nicht erobern – die Franzosen behaupten sich erfolgreich gegen Mussolinis Truppen.

Der träumt von einem italienischen Mittelmeerimperium, einem „mare nostrum“ nach römischem Vorbild. Und neidet seinem früheren Bewunderer Adolf Hitler dessen militärischen Erfolg. Er will es ihm gleichtun, will seinen Anteil an der Verteilung Europas. Und verkennt den Kampfwert seiner Armee.

Die französische Flotte wird am 3. Juli 1940 im Hafen von Mers-el Kebir bei Oran von der britischen Royal Navy gewaltsam ausgeschaltet, nachdem die Kommandeure der Flotte sich geweigert hatten, sich den britischen Verbänden zu ergeben oder sich selbst zu versenken. 1.300 französische Matrosen kommen hierbei ums Leben, ein Schlachtschiff wird versenkt, drei weitere schwere Schiffe beschädigt. Die französische Flotte in Alexandria ergibt sich daraufhin den Engländern kampflos.

Adolf Hitler sucht auf diplomatischem Wege seine Position zu festigen und bringt im September 1940 eine Allianz zwischen Japan, Italien und Deutschland zustande. Noch vor Ende November 1940 treten Ungarn, Rumänien und die Slowakei der „Achse“ bei, Bulgarien folgt im Jahr 1941. Nur Spaniens Generalissimo Franco ist nicht zu einem Beitritt zu überreden. Jahre des Bürgerkriegs haben ihn vorsichtig gemacht.

Derweil geht Benito Mussolini eigene Wege. Am 27. Oktober 1940 informiert er Hitler über seine Pläne – die er bereits am 28. Oktober 1940 in die Tat umsetzt. Hitler wird von seinem Bundesgenossen regelrecht vor vollendete Tatsachen gestellt, als zwei italienische Armeen von Albanien aus, welches im März 1939 von Italien annektiert worden war, zum Angriff auf Griechenland antreten. Dies kommt Hitler gar nicht gelegen, hatte er doch gehofft, Griechenland ebenfalls diplomatisch einzubinden oder zumindest neutral halten zu können. Doch nun muss er zusehen, wie die Griechen, von britischen Flugzeugen unterstützt, den italienischen Einheiten eine vernichtende Niederlage beibringen. Mitte Dezember 1940 sind die Italiener 80 Kilometer tief auf albanisches Gebiet zurückgetrieben worden. Und den Briten ist ein Vorwand für die Unterstützung Griechenlands mit einem Expeditionskorps geliefert.

Doch nicht nur das! In Abessinien (Äthiopien) und Eritrea haben die Italiener etwa 300.000 Mann stationiert, ergänzt durch Zehntausende einheimischer Hilfstruppen. Ihnen stehen nur ungefähr 10.000 britische Soldaten im Sudan, in Kenia und in Britisch-Somalia gegenüber. Eine klare Angelegenheit! Die britischen Garnisonen von Kassala und Gallabat im Sudan müssen sich am 4. Juli 1940 nach zweiwöchigem harten Kampf zurückziehen, Moyale in Kenia fällt am 15. Juli 1940, und Britisch-Somalia ist am 19. August 1940 in italienischer Hand. Doch dann wendet sich trotz der Zahlenverhältnisse das Blatt ...

Der entscheidende Schlagabtausch zwischen den Briten und Italienern sollte jedoch in Nordafrika stattfinden. In Ägypten, Palästina und dem Irak stehen 63.000 britische Soldaten, davon etwa 30.000 in Ägypten selbst. Sie stehen unter dem Kommando von General Sir Archibald Wavell. Sein Gegenspieler ist der italienische Marschall (Maresciallo) Graziani. Er hat 250.000 Soldaten in Libyen zur Verfügung.

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Am 13. September 1940 schlagen sie los. Die Italiener rücken knappe 100 Kilometer auf ägyptisch-britisches Gebiet vor. Dann verschanzen sie sich und graben sich ein. Marschall (Maresciallo) Graziani begründet dies mit einer Unterlegenheit an Panzern und Geschützen. In der Tat waren soeben 150 britische Panzer an Nachschub für Wavells Armee über den Suez-Kanal eingetroffen. „Matildas“, welche den schlecht gepanzerten, schwach bewaffneten italienischen M15/24-Panzern erheblich überlegen sind. Doch immer noch haben die Italiener eine zahlenmäßige Überlegenheit der Infanterie von über 8 : 1.

Die britische Western Desert Force unter General O’Connor erholt sich schnell von dem Überfall der Italiener, die nun in Gräben unbeweglich hinter Sandsäcken verschanzt in der Wüste ein einladendes Ziel darstellen. Wavell und O’Connor sind nicht gewillt, sich diese Chance entgehen zu lassen. Zahlenmäßige Unterlegenheit hin oder her – die Beweglichkeit der beiden verfügbaren britischen Divisionen – der 7. motorisierten und der 4. indischen Division – erlaubt zumindest einen begrenzten Gegenschlag. Am 9. Dezember 1940 feuern die britischen Geschütze schweres Sperrfeuer auf die italienischen Stellungen südlich und östlich von Sidi Barrani. Dann greifen die Briten Grazianis Verbände an.

Der britische Hauptstoß im Süden von Sidi Barrani überrascht die Italiener. Der schnelle britische Durchbruch führt in den Rücken derjenigen italienischen Einheiten, die küstennah in den am weitesten vorgeschobenen Stellungen liegen, und schneidet ihnen den Rückweg ab. 35.000 italienische Soldaten geraten in Gefangenschaft – mehr, als Wavells Streitmacht insgesamt in Ägypten an Soldaten aufbieten kann. Der Rest der italienischen Truppen flieht panikartig völlig ungeordnet in ihre Ausgangsstellungen bei Bardia an der ägyptisch-libyschen Grenze zurück.

Doch O’Connor hat nun „Blut geleckt“. Allerdings muss er die 4. indische Division abgeben, die in den Sudan geschickt werden soll, um sich dort den Italienern zu stellen. Dafür wird die 6. australische Division aus Palästina herangeführt. Nun nimmt Wavell die Offensive wieder auf – der die Italiener trotz nach wie vor überlegener Zahl erneut nichts entgegenzusetzen haben. Am 3. – 5. Januar 1941 fällt Bardia in britische Hand – zusammen mit 40.000 Italienern. Am 22. Januar 1941 ergeben sich 25.000 italienische Soldaten in Tobruk, einer Hafenfestung, welche Graziani gegenüber Mussolini als uneinnehmbar bezeichnet hatte. Der Rest von Grazianis Streitmacht zieht sich an der Küste entlang Richtung Bengasi zurück – verfolgt von den Australiern. Bei Derna können die Italiener den australischen Vormarsch stoppen. Dick O’Connor erkennt seine Chance, teilt seine Streitkräfte und schickt die 7. motorisierte Division quer durch die Wüste, 300 Kilometer durch unbekanntes Terrain. Nach 33 Stunden erreichen die Briten die Küste. Die britischen Einheiten schneiden den demoralisierten Italienern den Weg ab. Grazianis Truppen sehen sich auf ihrem Rückzug nach Westen bei Bajda Fumm urplötzlich Colonol Combes britischen Panzern in einer schnell errichteten Sperrstellung gegenüber. Gleichzeitig werden sie aus der Wüste heraus von Brigadier Caunters 4. motorisierten Brigade angegriffen, während ihnen in ihrem Rücken von Osten kommend die Australier zusetzen. 21.000 Italiener sitzen in einer von nur 3.000 Briten, die Ihnen den Weg versperren, aufgestellten Falle. Sie ergeben sich am 7. Februar 1941.

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Die Briten machen erst in El Agheila halt. Die langen Nachschubwege vom Suez-Kanal bis tief nach Libyen hinein machen sich bemerkbar. Immerhin war man ab Sidi Barrani 800 Kilometer weit vorgedrungen – Luftlinie, wohlgemerkt. An der Küste entlang sind es von Alexandria aus 1.300 Kilometer Nachschubweg. Doch auch das hätte O’Connor nach dessen Überzeugung nicht lange aufgehalten. Begierig, seinen Sieg komplett zu machen, wäre er liebend gerne weiter vorgestoßen. Doch Wavell muss nun Truppen an eine andere Front abgeben. Die Griechen benötigen britische Hilfe. Das zwingt zum Halt.

In einem brillanten Blitzfeldzug hatte der britische General Wavell mit seinem Taktiker O‘Connor die italienische Streitmacht in Nordafrika um die Hälfte dezimiert und Mussolini halb Libyen abgenommen.

Diese Nachricht hatte sich auch nach Abessinien (Äthiopien) herumgesprochen. Dort waren die britischen Truppen im Sudan am 19. Januar 1941 zum Gegenangriff angetreten. Am 11. Februar 1941 eröffnet Cunningham von Kenia aus eine zweite Front. Und von Aden im Jemen aus setzen die Briten über das Rote Meer über und landen am 16. März 1941 in Berbera.

In der Bergstellung bei Keren in Eritrea wehren sich die Italiener erbittert. Am 26. März 1941 fällt die Stellung, am 18. Mai 1941 auch die Bergfestung Amba Alagi. Am 3. Juli 1941 schweigen die Waffen in Abessinien und Eritrea – abgesehen von vereinzeltem Widerstand in den Bergen bei Gondar. Die Briten und Commonwealth-Truppen haben 3.100 Gefallene zu beklagen. Die Italiener haben dagegen 300.000 Mann an Gefallenen und Gefangenen verloren, zusammen mit afrikanischen Hilfstruppen 420.000 Soldaten. Ostafrika ist in britischer Hand, Kaiser Haile Selassie, der im Jahr 1935 von den Italienern vertrieben worden war, kehrt an der Spitze einer eigenen kleinen Streitmacht zurück.

Was ist der Grund für das Versagen der italienischen Truppen in diesem Ausmaß? Die Gründe sind vielschichtig und wohl nicht völlig verständlich. Eine Rolle spielt die mangelhafte Ausrüstung der Italiener. Ihre Panzer sind derart schwach bewaffnet, schlecht konstruiert und mangelhaft gepanzert, dass sie beim geringsten Beschuss mit schweren Waffen nur noch den Wert stählerner Särge haben. Eine motorisierte Ausrüstung gibt es nur ansatzweise, manche Lastwagen fahren auf unbereiften Rädern, die der Beanspruchung auf dem felsigen Wüstenboden nicht lange standhalten. Einem entschlossenen Panzerangriff haben die Italiener wenig entgegenzusetzen – was allerdings nur in Nordafrika gegen die britische Western Desert Force ein schwerwiegender Faktor ist. Doch entscheidender als dies ist das zerrüttete innere Gefüge der italienischen Truppen. Die italienische Armee wird in der rückständigen Art einer Feudalarmee geführt, deren Offiziere in Luxus leben und oft mit Standesdünkel und Arroganz ihre Befehle geben, obgleich es ihren Soldaten praktisch an allem mangelt. Während deutsche Offiziere an vorderster Front ihre Truppen führen und auch ihre britischen Gegenspieler es nicht scheuen, sich in die Reichweite gegnerischer Geschosse zu wagen, führen die Italiener ihre Einheiten oft von der bequemen Etappe aus – mit entsprechend langen Entscheidungswegen. Die italienischen Soldaten fühlen sich nicht respektiert, sondern als Kanonenfutter ihrer ruhmsüchtigen Kommandeure, allen voran Mussolini, verheizt. Es gibt italienische Eliteeinheiten, Alpini, Bersaglieri, die loyal, tapfer und aufopfernd kämpfen. Doch das Gros der italienischen Truppen sieht eigentlich keinen Sinn in dem Opfer ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit. Für den Orden ihrer Offiziere? Ein italienischer Soldat soll gesagt haben: „Dies ist ein europäischer Krieg, mit europäischen Waffen gefochten gegen einen europäischen Gegner – und das in Afrika. Was zum Teufel geht uns das an?“

Die Deutschen sehen das anders. Eine ganze Generation ist aufgewachsen unter den Bedingungen des Versailler Vertrages, mit dem Frankreich und England nach dem Ersten Weltkrieg den deutschen Nationalstolz empfindlich verletzt hatten. Unverdient und demütigend, wie man die Haltung der beiden ehemaligen Siegermächte empfindet, und psychologisch extrem ungeschickt. Man hat eine Rechnung offen und ist hochmotiviert, aller Welt vor Augen zu führen, dass man so mit Deutschland nicht ungestraft umspringen kann. So fatal und naiv dies aus heutiger, politisch gefestigter Sicht erscheinen mag: Abgesehen von wenigen weitsichtigen Intellektuellen ist dies die Stimmung im Deutschen Reich! Dieses Bedürfnis nach Wiederherstellung einer nationalen „Ehre“ und Revanche für angebliches Unrecht wird von den Nationalsozialisten psychologisch gefördert und für ihr Machtstreben perfide ausgenützt.

Der italienische „Duce“ hat ein Problem. Was dazu gedacht gewesen war, als strahlender Sieger an der Seite des auf dem Höhepunkt seines Ruhmes stehenden deutschen „Führers“ einen gebührenden Teil des Sieges-Kuchens einzuheimsen, gerät inzwischen zur militärischen Katastrophe. In Nordafrika ist Libyen bereits halb eingebüßt worden, Abessinien und Eritrea ist ganz verloren und in Albanien stehen die Italiener in Abwehrkämpfen gegen die überraschend tapferen Griechen. Die italienische Flotte – durch Treibstoffmangel geschwächt und bei Nacht oder schlechtem Wetter ohne die fortschrittliche Radartechnik, über welche deutsche oder britische Schiffe verfügen, fast blind – hatte mehrfach bittere Verluste hinnehmen müssen. Sie war in der Nacht vom 11. zum 12. November 1940 durch einen unverschämt frechen Luftangriff britischer Trägerflugzeuge der HMS „Illustrious“ im italienischen Hafen von Tarent geradezu vorgeführt worden, dem das Schlachtschiff „Conte di Cavour“ zum Opfer fiel. Und die italienische Luftwaffe? Mit veralteten Flugzeugen ausgerüstet, unterbewaffnet und untermotorisiert ist sie abgesehen von den Torpedostaffeln keine allzu große Gefahr für die Royal Navy, da die regulär verfügbaren 250-kg-Bomben eine Schiffspanzerung nicht durchschlagen können.

Wenn Mussolini nicht völlig blamiert dastehen will, muss er seinen Bundesgenossen um Hilfe bitten. Diesem bleibt keine andere Wahl, als der Bitte um Unterstützung nachzukommen, kann er doch weder Luftangriffe der Briten von Griechenland aus auf die für Deutschland lebenswichtigen Ölfelder der Rumänen riskieren noch eine Bedrohung Italiens von Nordafrika aus. Letzteres würde in Italien deutsche Truppen binden, die Hitler anderweitig einzusetzen gedenkt. Da erscheint es das kleinere Übel zu sein, eine deutsche Division – die 5. „leichte Afrikadivision“ – nach Nordafrika zu senden. Später wird die 15. Panzerdivision folgen. Und Luftwaffen-Einheiten. Die zweimotorigen Me 110 E-1/E-2 der III./ZG 26, Junkers Ju 87 B Sturzkampfbomber der I./StG 1 und II./StG 3, zeitweise II./StG 2. Doch noch keine Abfangjäger ...

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Deutsche Panzer III für das Afrikakorps werden im Hafen von Tarent (Italien) auf ein Schiff verladen.

Dafür ein schwäbischer Generalleutnant, Oberbefehlshaber der deutschen Truppen in Afrika, Chef des Afrikakorps. Ein Mann, der in der Nähe von Ulm aufgewachsen ist, in einem Ort, an dem sich sprichwörtlich „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“. Nun, er hatte sich vorgenommen, die Rolle des Hasen den Engländern zuzuweisen. Am 12. Februar 1941 betritt Erwin Rommel afrikanischen Boden.

Geduld ist nicht seine Stärke. Am 11. März 1941 sind gerade mal 105 mittelschwere deutsche Panzer (überwiegend Panzer III) und 51 leichte gepanzerte Fahrzeuge in Tripolis angelandet. Rommel hat Anweisung, auf das Eintreffen seiner Panzerdivision zu warten, bevor er etwas unternimmt. Doch der Befehlshaber des Afrikakorps gehorcht seinem Instinkt, nicht so sehr den Befehlen. Die Briten hatten die kampferprobte 7. motorisierte und 6. australische Division zurückverlegt, teilweise nach Griechenland überführt. Die nun Rommel gegenüberstehende 2. britische Panzerdivision und 9. australische Division haben wenig Kampferfahrung. Und sie sind völlig ahnungslos. Rommel sieht seine Chance.

Er nutzt sie. Am 24. März 1941 überrumpeln seine Truppen die Briten in el Agheila. Nach einem Tag schwerer Kämpfe fällt Mersa Brega in deutsche Hand. Die demoralisierten italienischen Truppen schöpfen wieder Hoffnung. Offenbar gibt es da einen Kommandeur, der etwas drauf hat. Rommel schickt eine italienische Division an der Küstenstraße entlang zum Angriff gegen Bengasi. Seine motorisierten Truppen jagt er quer durch die Wüste – in umgekehrter Richtung, wie O’Connor wenige Monate zuvor. Dieser selbst wird von einem deutschen Stoßtrupp zusammen mit dem neuen britischen Befehlshaber General Philip Neame überrascht und gefangen genommen. Auch Rommel setzt sich der Gefahr aus, führt in der Nacht zum 5. April 1941 persönlich seine Truppen an. Rommel spielt Katz und Maus mit den Briten, umgeht ihre Einheiten, lässt sie an eine Einkesselung glauben. Prompt ergeben sich die verwirrten britischen Truppen bei Mekili. Lediglich zwei australische Brigaden können sich kämpfend in den Hafen von Tobruk zurückziehen, wo sie über See durch eine weitere Brigade verstärkt werden. Am 11. April 1941 ist die 9. australische Division in Tobruk eingekesselt und kann nur noch über das Meer versorgt werden. Die Schiffe sind pausenlos den deutschen Stukas ausgesetzt. Daher werden sie nur nachts ausgeladen und verlassen Tobruk so schnell es geht wieder. Nach einem vergeblichen Angriff am 12. April 1941 auf Tobruk setzt Rommel den restlichen britischen Einheiten nach, die sich in Auflösung hinter die ägyptische Grenze zurückziehen. Dann versucht er, in der Nacht vom 30. April 1941 Tobruk im Sturm zu nehmen. Doch die Australier haben sich eingegraben, wehren sich tapfer. Sie lassen mit eisernen Nerven die Panzer über ihre Gräben und Löcher rollen, dann feuern sie aus allen Rohren auf die nachfolgende Infanterie. Inzwischen nimmt sich die Artillerie der ehemals italienischen, nun britisch-australischen Festung die deutschen Panzer vor. Die Hälfte wird abgeschossen.

Rommel muss Luft holen, benötigt Nachschub und Ersatz. Immerhin hatte er in einem Monat den Briten alles das wieder abgenommen, was diese in drei Monaten gegen die Italiener erobert hatten. Weiter kommen seine Truppen vorerst jedoch nicht. So gerne er den sich nur mühsam stabilisierenden Briten nach Ägypten hinein nachsetzen würde, mit Tobruk als Stachel im Fleisch kann er das nicht riskieren. Bei Sollum, am Halfaya-Pass und bei Fort Capuzzo kommt die Front zum Stehen – vorerst. Bis Verstärkungen herangeführt sind. Rommel weiß, dass dies auch die Engländer tun. Diese erhalten bereits am 12. Mai 1941 durch einen Geleitzug 240 neue Panzer. Rommel wiederum hat Ende Mai 1941 die 15. Panzerdivision nachgeführt und zur Verfügung. Was er nicht weiß, ist, dass die Briten die deutsche Chiffriermaschine „Enigma“ entschlüsselt haben. Sie hören alle scheinbar völlig sicher verschlüsselten deutschen Funksprüche von und nach Italien und Berlin mit. Ein unschätzbarer Vorteil des Gegners.

Ein Gegner, der bisher mit seinen Luftstreitkräften nach Belieben über Nordafrika operieren konnte, allenfalls bedroht von der italienischen Luftwaffe und den deutschen Me 110-Zerstörern, die sich Hurricanes gegenüber aber bereits über England als unterlegen erwiesen hatten. Dagegen sind die deutschen Stukas den britischen Jägern ohne Jagdschutz fast wehrlos ausgesetzt. So waren am 18. Februar 1941 immerhin acht Stukas von den Piloten der australischen 3 Squadron (RAAF) abgeschossen worden. Das Afrikakorps benötigt Hilfe aus der Luft. Es benötigt eigentlich alles – auch Jagdflugzeuge!

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Hilfe kommt in Form der I./JG 27, die im März 1941 eine komplette Lieferung an Me 109 E-7/trop für den bevorstehenden Nordafrikaeinsatz erhalten hatte. Am 18. April 1941 treffen die ersten Me 109 in Ain-el Gazala ein. Auch ein gewisser (seit März 1941 endlich zum Oberfähnrich beförderter) Flugzeugführer namens Hans-Joachim Marseille wird mit der 3. Staffel des JG 27 dem Afrikakorps und den Italienern zu Hilfe gesandt. Ein Pilot, der immerhin bereits vier Abstürze und Bruchlandungen an der Kanalküste auf seinem Konto hat. Verschuldet oder nicht – als Ruhmesblatt gilt es nicht gerade. Doch jetzt wird alles anders. Ganz bestimmt! Es ist der 20. April 1941. Marseille hat sich viel vorgenommen! Zunächst allerdings benötigt er selber etwas Unterstützung von den Italienern ...

Die wird ihm auch gewährt, als der Fahrer eines italienischen Lastwagens hilfsbereit an der Straße nach Sirte hält und Marseille auf den Beifahrersitz einlädt. Der steigt in die Hitze des Führerhauses, nachdem er noch kurz seinen Fallschirm, das Flugbuch und einige Habseligkeiten aus seiner neben der Straße notgelandeten Messerschmitt Bf 109 E-7/trop geholt hatte ...

Als die 3. Staffel nach ihrem Flug über das Mittelmeer an ihrem Zielflughafen angekommen war, hatten die Piloten statt dem versprochenen Tankkommando den Platz Castel Benito völlig verlassen vorgefunden. Also musste irgendjemand Hilfe holen. Oberleutnant Homuth, der Staffelkapitän der 3. Staffel, hatte sich einen Piloten ausgesucht – und Marseille auf den Flug nach Sirte geschickt – mit dem letzten Tropfen Sprit. Doch Marseille kommt nicht so weit. Ein Kolbenfresser macht seinem Flug neben der Straße nach Sirte ein Ende. Dafür kann Marseille nichts. Aber würde man ihm das glauben?

Mit dem Lastwagen erreicht Marseille schließlich Sirte und kann dort tatsächlich einen Tankwagen organisieren. Er will gerade losfahren, als ein Staffelkamerad eintrifft – Kowalski. Auch er kommt nach einer Notlandung zu Fuß. Homuth hatte ihn hinterhergeschickt, nachdem von Marseille nichts mehr gehört worden war, doch der Treibstoff hatte Kowalski nicht gereicht. Die Staffel selbst befindet sich inzwischen in En Nofilia – wo es auch kein Benzin gibt! Mit Hilfe von Kowalski und dem Bruchpiloten Marseille sollte sich dies nun ändern.

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Messerschmitt Bf 109 E-7/trop der I. Gruppe im JG 27 über der Wüste Afrikas.

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Die Tarnbemalung mit der Sprühpistole erscheint recht gut und durchaus zweckdienlich gelungen.

Als die Flugzeuge schließlich endlich aufgetankt werden können, startet die Staffel – ohne Marseille. „Sie haben ihre Maschine zu Bruch geflogen, nun sehen Sie halt zu, wie Sie an die Front kommen!“ Das ist nicht wirklich böse gemeint, und doch trifft es Jochen in der alten Wunde!

Nach einiger Zeit kommt ein italienischer Lastwagenkonvoi an En Nofilia vorbei. Die Italiener nehmen den deutschen Piloten mit. An einem Feldflugplatz steigt Marseille aus. Doch irgendein Transportflugzeug in die richtige Richtung ist dort vorerst nicht eingeplant. Marseille bittelt und bettelt – es ist nichts zu machen.

„Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen! Vielleicht leiht Ihnen ja der General dort drüben sein Fahrzeug ...!“, sagt ein Hauptmann des Stabes im Scherz.

Marseille nimmt das ernst – und wendet sich naiv an den Heeresgeneral! Der reagiert amüsiert – und bittet Marseille prompt zum Abendessen. Der nette junge Jagdflieger soll von seinen Erlebnissen an der Kanalküste erzählen. Dieser Bitte kommt Marseille unbekümmert nach – auf seine sympathisch aufgeweckte Art. Marseille muss dem augenzwinkernden General versprechen, noch mindestens 50 Gegner herunterzuholen! Jochen verspricht es!

Inzwischen ist Marseilles Staffel unterwegs nach Ain-el Gazala. Nach einer Zwischenlandung und Übernachtung schweben die Jagdflugzeuge schließlich am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr dort ein. Die Piloten sind soeben dabei, sich einzurichten, als der Wagen eines Heeresgenerals samt Chauffeur um die Ecke biegt und vor dem verblüfften Oberleutnant Homuth hält.

23. April 1941. Rommel will es wissen, der Kampf um Tobruk wird härter. Täglich starten die deutschen Stukas und bereiten den Angriff auf die Festung vor. Doch die Australier sind hartnäckig, bewundernswert zäh. Inzwischen werden die Stukas von deutschen Jägern begleitet. Die Hurricanes der 73 Squadron der Royal Air Force (RAF) bekommen das schmerzlich zu spüren. Einer der britischen Jäger stürzt brennend ab, wenig später gefolgt von einer abgeschossenen Me 109. Marseille ist mittendrin im Getümmel, in einer brandneuen Me 109 E-7/trop. Er entdeckt vor sich etwas tiefer zwei der Royal-Air-Force-Jäger. Nach einem gut gezielten Feuerstoß ist es nur noch einer. Sekunden später hat Jochen selber vier Hurricanes im Genick, kann ihnen aber buchstäblich im letzten Moment entkommen.

Es ist bereits Abend. Im nächsten Einsatz an demselben Tag versucht es Jochen erneut. Sturzflug – da vorn die Hurricane – Feuer! Doch dieses Mal gehen die Garben daneben. Die der Briten nicht. Hätte sich Jochen nicht zufällig gerade nach vorne gebeugt, um seinen Schutzengel zu küssen, hätten die Geschosse des französischen Sous Lieutenant Denis seinen Kopf durchbohrt. So treffen sie „nur“ Marseilles brave Messerschmitt. Die hat keinen Schutzengel, mit Marseille als Piloten hätte einer auch nicht genügt. Jochen landet schließlich in seiner rauchenden und qualmenden „Emil“ mit der Nummer img in der Nähe seines Fliegerhorstes. Die Maschine schlittert auf dem Bauch über den Wüstenboden. 30 Treffer zählt man später. Marseille hatte keinen einzigen davon abbekommen.

Jochen erhält wieder ein neues Flugzeug. Das wievielte ist es eigentlich? Doch dieses sollte nun erstmals diejenige Nummer zieren, die den „Stern von Afrika“ berühmt machen wird. Von nun an werden alle Me 109 Hans-Joachim Marseilles die gelbe img tragen. Sie bringt ihm lange Glück!

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Eine zweimotorige Messerschmitt Bf 110 in Nordafrika unter Palmen. Die Szene wäre fast idyllisch, hätte das Flugzeug keine Kanonen an Bord.

Man kann die Bordschützen des zweimotorigen Bristol „Blenheim“-Bombers, der am 28. April 1941 mehrere Offiziere aus der belagerten Festung Tobruk ausfliegen soll, nicht mehr fragen, ob sie die Nummer erkannt haben. Marseille sieht den einzelnen kleinen Punkt, der sich von der Silhouette Tobruks löst und übers Meer entfernt, als Einziger – aus mehreren Kilometern Entfernung. Die Me 109 hat die Sonne im Rücken. Marseille fliegt bis auf nächste Distanz heran. Der Feuerstoß ist kurz und vernichtend.

Auch am 1. Mai 1941 sieht Marseille die sechs Hurricanes der 274 Squadron RAF als Erster. Über Funk macht er seinen Staffelkapitän auf den Gegner aufmerksam. Homuth teilt die Staffel in zwei Gruppen und dirigiert den Verband umsichtig in Angriffsposition. Dank Marseilles exzellenter Augen hat der deutsche Verbandsführer genügend Zeit, unerkannt in die Überhöhung zu steigen. Wieder haben die Messerschmitt-Jäger nun bewusst die grelle Wüstensonne im Rücken. Für die britischen Piloten sind die kleinen schwarzen Punkte somit fast nicht gegen das gleißende Licht zu erkennen. Bis Marseille sich als Erster auf den Gegner stürzt und feuert. Er trifft im Bruchteil einer Sekunde ins Schwarze.

Als die deutschen Jagdmaschinen nach Luftkampf mit der 274 und 6 Squadron der Royal Air Force wieder auf dem Fliegerhorst einschweben, wackeln zwei der Messerschmitt-Jäger im Überflug über der Landebahn je zweimal mit den Tragflächen – jede dieser Flugfiguren kennzeichnet den Bodenmannschaften einen erfolgreichen Abschuss. Es ist die Me 109 des Staffelkapitäns, welchem zwei der vier Hurricanes zum Opfer gefallen waren. Die andere Me 109 trägt die gelbe Nummer img.

Ein Pilot allerdings hat wenig Augen für derartige Triumphsignale. Er ist verwundet, doch er erreicht blutend das eigene Flugfeld. Es ist Gefreiter Hermann Köhne. Auch die Briten treffen!

Die Schlacht um Tobruk ist in vollem Gange. Gegen verbissenen und tapferen Widerstand der australischen Verteidiger, die weit weg ihrer Heimat ihr Letztes geben, stürmen die deutschen und italienischen Soldaten Rommels ebenso erbittert gegen die Verteidigungsstellungen an. Zwischen den Angriffen liegen sich tagsüber beide Seiten auf Schussentfernung in Gräben und Schützenlöchern gegenüber, unfähig, sich auch nur einen Meter zu bewegen, erbarmungslos der unerbittlichen Sonne ausgesetzt. Wer den Kopf reckt, wird ein Opfer der Scharfschützen des Gegners. Und nachts nehmen sich die Stoßtrupps beider Seiten einzelne Gräben und Stellungen vor – Mann gegen Mann.

Die beiden hintereinander gestaffelten Verteidigungslinien Tobruks sind clever angelegt. Befestigte Stützpunkte, natürliche Höhlen, die geschickt zu Bunkern umgebaut worden waren, sind verbunden durch Schützengräben, MG-Nester, Panzerabwehrgeschützstellungen und Granatwerferpositionen. Alles ist so gut im Wüstensand getarnt, dass die feindliche Linie selbst auf wenige Meter Entfernung oft nicht zu erkennen ist. Stacheldraht und Minenfelder schützen die Verteidiger, an vorderster Front ergänzt durch einen schwer zu überwindenden Panzergraben, welcher eine natürliche Senke clever ausnützt. Die Italiener, die diese Festung gebaut hatten, haben sicher nicht damit gerechnet, dass sich eines Tages ihre eigenen Soldaten die Zähne daran ausbeißen würden.

Das Leben wäre unerträglich, gäbe es nicht einen Rest von Menschlichkeit zum Vorteil beider Seiten. Das Winken mit einer Rot-Kreuz-Flagge gibt den Männern jeder Partei die Chance, ihre Verwundeten aus dem verminten Niemandsland zu bergen. Als kleiner Nebeneffekt verrät es die Position des Gegners – ganz praktisch für den Zeitpunkt nach Wiederaufnahme der Kampfhandlungen. Keiner hat das vereinbart, doch sobald die Dämmerung hereinbricht, besteht eine unausgesprochene Übereinkunft, dass etwa zwei Stunden lang der Nachschub des Gegners nicht behindert wird. Jede Seite schafft Wasser heran – und Munition nach vorne. Die Deutschen sind diejenigen, die Nacht für Nacht das Ende des Waffenstillstandes signalisieren. Einige Leuchtkugeln am Nachthimmel stellen klar, dass von nun an wieder scharf geschossen wird.

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Deutscher Soldat eines Beobachtungspostens im Sand- und Steingeröll Libyens.

Und am nächsten Morgen heulen wieder die Stukas über der Ruinenstadt, belegen die Verteidiger mit gut gezielten Bombentreffern, und fliegen in verwegenem Tiefflug mitten durch die Geschosse der aus allen Rohren feuernden britischen Schnellfeuer-Flugabwehrgeschütze. Beide Seiten zeichnen sich durch Mut, Tapferkeit und Fairness aus – im Rahmen des im Angesicht des Todes Möglichen.

Inzwischen kämpft die deutsche Wehrmacht nicht nur in Libyen gegen die Briten. Schon am 6. April 1941 waren deutsche, italienische und ungarische Einheiten in Jugoslawien einmarschiert. Am 17. April 1941 ist der Vielvölkerstaat auf dem Balkan erobert – und gespalten. Serbische Partisanen bekämpfen die Deutschen weiter – kroatische Partisanen mit deutscher Hilfe die Serben. Am 10. April 1941 überschreiten deutsche Truppen von Bulgarien aus die Grenze nach Griechenland. Dort treffen sie auf standhaften griechischen Widerstand – und auf die Kräfte des seit März 1941 in Griechenland stationierten britischen Expeditionskorps. Am 20. April 1941 muss die eingekesselte 1. griechische Armee die Waffen strecken. Am 25. April 1941 erobern deutsche Fallschirmjäger den Hafen von Korinth. Am 27. April 1941 sieht man deutsche Stahlhelme auf der Akropolis in Athen. Am 28. April 1941 haben schließlich die letzten britischen Soldaten unter schweren Verlusten den griechischen Peloponnes verlassen. Fast 11.000 Soldaten der Commonwealth-Truppen fallen oder geraten in Gefangenschaft. Der Rest muss sich unter Verlust aller schweren Waffen nach Kreta zurückziehen. Dort fallen oder ergeben sich später weitere 14.000 Mann.

Kreta. Auch von dieser Insel aus können die Briten die rumänischen Ölfelder in Ploeşti mit Luftangriffen bedrohen. Ein unannehmbares Risiko für Deutschlands Führung! Doch wie erobert man eine Insel, welche von einer überlegenen Flotte geschützt wird? Am 28. März 1941 hatte die italienische Seemacht versucht, der Royal Navy das Terrain streitig zu machen. Vor Kap Matapan (Kap Tänaron) war es zum Schlagabtausch gekommen. Zunächst wird das italienische Flaggschiff, das moderne Schlachtschiff „Vittorio Veneto“, durch einen Torpedoangriff trägergestützter britischer Swordfish-Torpedobomber beschädigt. Die Italiener ziehen sich nach wiederholten Luftangriffen zurück, verfolgt von den Briten. In der Nacht gegen 22.20 Uhr wird die italienische Hauptstreitmacht völlig überrascht. Das Seegefecht endet mit der Versenkung dreier italienischer Kreuzer und zweier Zerstörer. Die Briten verlieren gerade mal einen Torpedobomber.

Von nun an ist von der italienischen Flotte keine ernsthafte Unterstützung mehr zu erwarten.

Die deutsche Führung hofft, die britischen Schiffe mit der deutschen Luftwaffe in Schach halten zu können. Am 20. Mai 1941 beginnt die Invasion der griechischen Insel Kreta – von See her mit Fähren und Transportschiffen – und aus der Luft. Deutsche Bomber belegen die von den Briten besetzten Flugplätze der Insel mit einem Bombenteppich. Unmittelbar danach sollen deutsche Fallschirmjäger überfallartig die noch vom Trauma der Bombenexplosionen gelähmten und in Deckung liegenden britischen und griechischen Verteidiger aus der Luft überwinden, unterstützt durch Gebirgsjäger, die mit Lastenseglern landen werden. Doch der Plan schlägt fehl. Der fürchterliche Staub der Sandpisten auf den Startbahnen der griechischen Behelfsflugplätze verzögert den Start der dreimotorigen Junkers Ju 52-Transportflugzeuge. Viele kollidieren beim Anrollen oder in der Luft. Als die Fallschirmjäger der 7. deutschen Luftlandedivision viel zu spät über den kretischen Flugplätzen Maleme, Rethimnon und Iraklion abspringen, ist von traumatisierten Gegnern nichts zu spüren! Sie werden von wütendem Maschinengewehrfeuer empfangen. Die Verluste sind fürchterlich, es ist ein Massaker. Ein Großteil der völlig hilflos am Fallschirm hängenden Soldaten erreicht den Boden nicht mehr lebendig.

Der überlebende Rest sammelt sich um die Flugplätze, unterstützt von den nun ebenfalls aus der Luft angelandeten Gebirgsjägern der 5. Gebirgsjägerdivision. Ihnen stehen alleine 42.000 Briten gegenüber. Die Flugplätze sind uneinnehmbar. Die Deutschen hoffen auf Verstärkung durch die über See herangeführten Truppen. Doch die Konvois werden von der britischen Navy entdeckt, gestellt und zerstreut. Viele Transportschiffe werden mit Mann und Maus versenkt, 5.000 Soldaten fallen oder ertrinken. Die restlichen Schiffe kehren notgedrungen um.

Auch dies ist ein Massaker, doch es bleibt nicht ungesühnt. Während Hans-Ulrich Rudel, der sich später zum erfolgreichsten Stuka-Pilot aller Zeiten entwickeln sollte, zu diesem Zeitpunkt noch als „frontfluguntauglich“ verschmäht wird und zähneknirschend tatenlos zusehen muss, triumphieren seine Kameraden über die britische Flotte. Es ist zu spät für die deutschen Konvois, gleichwohl ist es effizient. Insgesamt werden während des Griechenlandfeldzuges sechs britische Kreuzer und sieben Zerstörer versenkt, fünf Schlachtschiffe und ein Flugzeugträger beschädigt. Die britische Flotte wird durch die deutsche Luftwaffe zum Rückzug aus den Gewässern vor Kreta gezwungen.

Allmählich wird die Lage der deutschen Elitetruppen auf Kreta trotz Luftunterstützung immer verzweifelter. Dann meldet irgendein Funkspruch die angebliche Einnahme des britisch-besetzten Flugplatzes Maleme. In Wahrheit haben sich deutsche Fallschirmjäger bisher lediglich unter blutigen Verlusten bis an den Rand des Flugfeldes herangekämpft. Auf der anderen Seite liegen die Briten, und die leere Startbahn ist ein hervorragendes, freies und unüberwindliches Schussfeld.

Das ist sie so lange, bis eine komplette Gruppe deutscher Transportflugzeuge in der Annahme, der Flugplatz sei bereits in deutscher Hand, zur Landung einschwebt. Als die Piloten ihren Irrtum erkennen, ist es zu spät. Die Maschinen werden auf der Landebahn von britischen MG-Salven und Granatwerfern in Stücke geschossen – samt der Soldaten in ihren Rümpfen.

Das Flugfeld ist übersät mit Toten und Trümmern – und das heißt: mit Deckung! Der nächste Funkspruch meldet die Einnahme Malemes zu Recht. Von nun an landet ein Transportflugzeug nach dem anderen mit Verstärkung auf der Piste des Flugplatzes. Am 1. Juni 1941 ist Kreta in deutscher Hand. Zum ersten Male in der Kriegsgeschichte ist eine Insel alleine aus der Luft eingenommen worden. Doch zu welchem Preis! 5.678 Soldaten der Luftlandetruppen fallen zusätzlich zu den ertrunkenen Soldaten.

Der Krieg weitet sich immer mehr aus. Am 3. April 1941 wird der mit den Briten sympathisierende Regent des Irak, Emir Abdullah, durch einen Staatsstreich gestürzt. Das kommt den Engländern nicht gelegen, die den Flugplatz Habbanijja in der Nähe von Bagdad und den Hafen von Basra als Stützpunkte verwenden und außerdem den Irak als wichtige Ölquelle nutzen. Prompt belagert der neue Machthaber General Rashid Ali al Gailani, der von den Achsenmächten unterstützt wird, die britische Luftwaffenbasis. Die Briten setzen von Jordanien und Basra aus Truppen in Richtung Bagdad in Marsch. Sie werden von deutschen Flugzeugen bombardiert und mit Tiefangriffen attackiert, welche seit 12. Mai 1941 über das von der französischen Vichy-Regierung kontrollierte Syrien in den Irak geflogen werden und auch von Syrien selbst (Damaskus) aus eingreifen. He 111 der 4./KG 4 und Me 110 D-3 der 4./ZG 76 operieren von Mosul (Irak) aus – mit irakischen Hoheitsabzeichen und deutschen Besatzungen in irakischen Uniformen. Dennoch erreichen die britischen Einheiten am 30. Mai 1941 Bagdad und setzen nach kurzen Kämpfen mit den Irakern Emir Abdullah wieder ein. Ihr Ölnachschub ist wieder sichergestellt. Später wird der Irak Ausgangsbasis für die britische Unterwerfung des Iran werden.

Jetzt richtet sich der Zorn der Briten auf die Franzosen in Syrien, die den Deutschen offensichtlich geholfen hatten. Am 8. Juni 1941 nehmen die Briten vom Irak und von Palästina aus die Franzosen in die Zange. Doch zur Überraschung der Engländer wehren sich die französischen Truppen entschlossen. Über Syrien finden die ersten Luftkämpfe britischer (250 Squadron RAF) und australischer (3 Squadron RAAF) Jagdstaffeln mit einem neuen Jagdflugzeug statt, welches die Amerikaner den bedrängten Briten zum Ersatz der veralteten Gloster „Gladiator“-Doppeldecker und Hawker „Hurricanes“ zur Verfügung stellen. Die Curtiss P-40 „Tomahawk“ deklassiert eine Gladiator und ist schneller als eine Hurricane, zudem ist sie deutlich besser bewaffnet. Mit einer Me 109 E-7/trop, der sie später über Nordafrika begegnen sollte, kann sie es aufnehmen. Erst recht mit den Junkers Ju 88-Bombern der II./LG 1, die die Piloten der 3 Squadron RAAF ohne Jagdschutz vor der Küste von Syrien bei einem Angriff auf Schiffe der Royal Navy überraschen. Drei deutsche Bomber stürzen in die See.

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Curtiss P-40 „Tomahawk“ beim Start in der Wüste. Über England und Frankreich an der Kanalküste werden die P-40 der 414 Squadron in der kanadischen RCAF nur wenig und – anders als in Nordafrika – relativ erfolglos eingesetzt.

Auch mit einer Dewoitine D.520, französischen Jägern, die sich der 3 Squadron entgegenwerfen, nehmen es die P-40 mit Leichtigkeit auf. Am 10. Juli 1941 schießen fünf französische Piloten drei britische Blenheim-Bomber ab und beschädigen eine Anzahl weitere, doch im Gegenzug holen die australischen Tomahawks alle fünf Dewoitines vom Himmel. Die Franzosen revanchieren sich am Folgetag mit dem Abschuss einer Tomahawk durch Lieutenant Lete der GC II/3, welcher kurz danach aber selber abgeschossen wird. Am 14. Juli 1941 schweigen die Waffen. Die Franzosen sind besiegt.

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Später, nach Japans Kriegseintritt, wird ihnen auch noch die Insel Madagaskar gewaltsam von den Briten entrissen werden (5. Mai bis 5. November 1942). England befürchtet die Errichtung japanischer U-Boot-Basen an diesem strategisch wichtigen Punkt mit Billigung der Vichy-Franzosen. Es ist nicht weit her mit der französisch-britischen Freundschaft – zumindest nach Frankreichs Niederlage und der Errichtung des mit den Deutschen zusammenarbeitenden Vichy-Regimes.

Am Abend des 14. Juni 1941 sind die Vorbereitungen für die britische Gegenoffensive in Nordafrika abgeschlossen – Operation „Battleaxe“. Auch Adolf Hitler bereitet eine Offensive vor – wenn auch nicht in Nordafrika. Der Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 sollte eines Tages fast vier Jahre später sein Schicksal entscheiden.

Doch soweit ist es noch lange nicht ...

Mehr und mehr entwickelt sich der Feldzug in Nordafrika zu einem Feldzug der Nachschubwege. Die Deutschen und Italiener in Libyen erhalten ihren Nachschub über See von Italien aus – vor allem in den Hafen von Tripolis. Auch die Häfen von Bengasi und Derna werden genutzt. Allerdings sind die Schiffe der Nachschubkonvois der „Achsenmächte“ durch See- und Luftstreitkräfte der Briten bedroht, welche auf einer kleinen Insel vor Italiens Haustüre stationiert sind. Malta. Noch haben die deutsch-italienischen Stäbe die Situation unter Kontrolle. Die meisten Geleitzüge erreichen ihr Ziel. Britische U-Boote operieren wenig erfolgreich gegen die Nachschubschiffe. Umgekehrt wird es für die Engländer immer schwieriger, ihre eigenen Geleitzüge zur Unterstützung der Insel von Gibraltar und Alexandria aus bis Malta durchzubringen. Von der italienischen Überwasser-Flotte droht inzwischen weniger Gefahr, doch deutsche und italienische U-Boote setzen den britischen Konvois schwer zu. Auch die deutsche und italienische Luftwaffe, die sich zudem von Sizilien aus immer intensiver mit der Insel selbst beschäftigt, werden zum Schrecken der alliierten Matrosen. Malta wird fast ununterbrochen bombardiert. Die Jägerstaffeln der Briten auf der Insel tun ihr Möglichstes, doch sie werden zunehmend dezimiert.

Die inzwischen wieder von Wavell selbst geführten englischen Wüstentruppen hingegen erhalten ihren Nachschub überwiegend über den Seeweg um Afrika herum in das Rote Meer und den Suez-Kanal nach Alexandria. Abgesehen von im Suez-Kanal deponierten deutschen Minen, die aus der Luft von den He 111-Bombern der II./KG 4 abgeworfen werden, sind die Engländer auf diesem Wege kaum gefährdet. Zwar operieren deutsche Schiffe auch im indischen Ozean – so versenkt das Panzerschiff Admiral Scheer im Februar 1941 mehrere Handelsschiffe im Gebiet der Seychellen – doch im Wesentlichen erreichen die alliierten Versorgungsschiffe ihr Ziel in Ägypten. Flugzeuge werden teilweise nach einer Zwischenlandung in der britisch besetzten Goldküste direkt nach Kairo eingeflogen.

Am 15. Juni 1941 schlägt Wavell los. Die britischen Panzer rollen auf den Halfaya-Pass zu. Der Pass wird von einem Bataillon des Schützenregimentes 104 und Flugabwehreinheiten gehalten. Die deutschen 8.8-cm-Flak-Geschütze werden zweckentfremdet gegen die britischen Panzer gerichtet. Sie haben mit Panzersprenggranaten eine tödliche Präzision, ihre Reichweite übertrifft die 4-cm-Kanonen der englischen Matilda-Panzer deutlich. Der Panzerangriff bleibt im deutschen Feuer liegen, ein Teil der Panzer weicht aus und gerät prompt in ein Minenfeld. Für beide Seiten ist die Effektivität der 8,8-cm-Flugabwehrkanonen gegen Panzer eine Überraschung.

Am 16. Juni 1941 umgehen schnelle britische Verbände mit Teilen der 7. britischen Panzerdivision den Halfaya-Pass und durchbrechen die Stellungen der 5. leichten Afrikadivision. Circa 300 Panzer rollen durch die Wüste. Ein Teil der britischen Verbände erobert die Stellungen der Achsenmächte um Fort Capuzzo und stößt auf Sollum vor, die anderen motorisierten Einheiten wenden sich gegen Sidi Azeiz. Das nächste Hindernis vor Sidi Azeiz ist die Höhe 208. Dort steht eine deutsche Flakbatterie unter Oberleutnant Herbert von Paulewicz. Er hat nur vier Geschütze. Doch die haben das Kaliber 8,8 cm ...

Die Lage der kleinen deutschen Streitmacht erscheint hoffnungslos. Dennoch wird der britische Angriff im gut gezielten Abwehrfeuer der 8,8-cm-Flak gestoppt. Die Engländer bringen nun ihre Feldgeschütze in Stellung, überschütten die Höhe mit einem Granathagel. Die britische Artillerie pflügt den Hügel um. Dann rollen 70 Panzer vor. Als elf davon brennen, ziehen sie sich zurück.

Am Nachmittag versuchen es die Briten abermals. Und verlieren wieder über zehn Kampfpanzer. Als sie zum vierten Mal anrollen, treffen sie nun auch auf die in letzter Sekunde eingetroffenen deutschen Panzer des 5. Panzerregimentes. Inzwischen stoppt das 8. Panzerregiment den britischen Vorstoß auf Bardia, nachdem Sollum in englische Hand gefallen war.

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Der Kampf um den lebenswichtigen Nachschub. Auch dieses Bild zeigt die Verladung eines deutschen Panzer III für das Afrikakorps in einem italienischen Hafen. Noch hat der Panzer gute Chancen, den Wüstenboden zu erreichen ...

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8,8-cm-Flak-Geschütze bekämpfen hier feindliche Artilleriestellungen, mit Panzermunition in tödlichem Direktbeschuss oft feindliche Kampfwagen.

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Matilda-„Tank“ (Panzer).

Die Schlacht steht auf des Messers Schneide, als Erwin Rommel sich persönlich an die Spitze der 5. leichten Afrikadivision setzt und den Gegner weiträumig mit seinen schnellen Truppen umgeht. Die Briten versuchen kämpfend, diese Umfassung zu verhindern, vergeblich. Am 17. Juni 1941tauchen die deutschen Verbände bei Sidi Suleiman im Rücken des Gegners auf. Eine erbitterte Panzerschlacht beginnt. Wavells Panzer erleiden schwerste Verluste. Als der Gefechtsstand von Brigadegeneral Messervy überrannt wird, ist die 4. britische Panzerbrigade ohne Kommando.

Wenig später muss General Wavell den Befehl zum Rückzug geben. Er wird zu einer Flucht. Erst in Sidi Barrani kommen die vernichtend geschlagenen britischen Verbände zu stehen. Sie hatten 220 Panzer verloren, das deutsche Afrikakorps hatte nur 25 Totalverluste an Panzern hinnehmen müssen..

Auch an Jochen Marseille geht der Sommer des Jahres 1941 nicht spurlos vorüber. Am 21. Mai 1941 *3 versucht er, seinem Staffelkameraden Pöttgen eine Hurricane vom Heck wegzuschießen. Doch ein Kamerad des britischen Piloten ist schneller. Als Marseille auf dem Wüstenboden aus seiner bruchgelandeten Messerschmitt steigt und in Richtung auf die deutschen Linien losmarschiert, sieht er plötzlich in die Mündungen von Gewehren. Gegen die Sonne kann er keine Uniformen erkennen, erwartet hier nahe Tobruk aber Briten. In seinem schönsten Schulenglisch versucht er, sich als Australier auszugeben. „S’isch wohl bessor, Du schwädzsch deidsch!“ kommt es brummig von drüben zurück!

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Der Cruiser Mk. VI ist bekannter als „Crusader“. Er ist neu im Wüstenkrieg. Der britische „Tank“ ist zwar schnell, aber wenig effektiv gepanzert und mit einer 4-cm-Kanone nur mäßig bewaffnet; zudem ist der Crusader technisch viel unzuverlässiger als die Panzer Rommels.

Im Verlauf der Luftkämpfe (am 14. Juni 1941) schießt Oberleutnant Franzisket eine britische Hurricane ab. Der Pilot des britischen Jagdflugzeuges, Captain Ken Driver, kann mit dem Fallschirm dem Tod entrinnen und wird gefangen genommen. Franzisket führt vertretungsweise die 3. Staffeldes JG 27 für den erkrankten Homuth. Als Driver seinen Bezwinger bittet, die eigenen Leute irgendwie davon zu unterrichten, dass er wohlbehalten am Leben sei, verspricht ihm der Deutsche, über dem britisch besetzten Sidi Barrani in Ägypten eine entsprechende Nachricht abwerfen zu lassen.

Am 16. Juni 1941 stürzt sich Marseille auf drei Hurricanes – und bezieht abermals Prügel. Seine Messerschmitt wird im Motor getroffen, die Windschutzscheibe des Jagdflugzeuges ist bald ölverschmiert. Marseilles Rottenflieger Pöttgen leitet ihn im Blindflug „nach Hause“, als sie die Hurricanes abgeschüttelt haben. Meter für Meter wird Marseille zu Boden gelotst – und landet glatt! Eine Meisterleistung!

Doch jetzt reicht es selbst seinem toleranten Gruppenkommandeur „Edu“ Neumann. Er nimmt sich Herrn Oberfähnrich gründlich zur Brust. Und doch so, dass der junge Möchtegern-Überflieger mit seinen Worten leben kann. Er fordere den Tod mit seiner irrwitzigen Luftakrobatik geradezu heraus, ermahnt ihn Neumann. Und als Zugabe schmeiße er der Staffel eine Me 109 nach der anderen in den Sand. Die Maschinen seien hier extrem schwer zu ersetzen, das möge sich Marseille doch bitte vor Augen führen! Gut, er habe Schneid, aber andererseits dürfe es einfach nicht sein, dass er bereits beim Anblick eines Gegners schon die Beherrschung verliere. In den letzten Wochen habe er wahrlich mehr Glück als Verstand gehabt. Er wisse, dass Marseille ein hervorragender Flieger sei, aber es sei einfach sträflicher Leichtsinn, wie er sich verhalte. Marseille versucht eine Entgegnung, will Neumann erklären, an welcher Methodik er fliegerisch arbeite. Doch der Gruppenkommandeur unterbricht Jochen schon im Ansatz. „Ich weiß, was Sie sagen wollen“, blockt Neumann ab, „und es ist auch möglich, dass man irgendwann dieses Ziel erreichen kann. Aber dazu muss Gott diesem Flieger ein längeres Leben schenken, als es ihm allgemein zusteht!“

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Deutsche Panzer III in Nordafrika.

„Ich werde es schon hinkriegen, Herr Hauptmann!“

„Das werden Sie nicht! Ich befehle Ihnen, diese halsbrecherischen Kunststückchen zu unterlassen!“

Marseille erhält drei Tage Startverbot.

Doch Jochen gibt nicht auf. Sein Hunger nach Anerkennung, sein Durst danach, ernst genommen zu werden, ist grenzenlos – kein Opfer ist zu groß, um als Held dastehen zu können. Selbst den Alkohol opfert er diesem Ziel – für Milch. Marseille arbeitet an sich, trainiert seine ohnehin bereits messerscharf sehenden Augen. Stundenlang sieht er in die Sonne und adaptiert sein Sehvermögen an die Grelle des Wüstenlichtes. Er trainiert verbissen seine Bauchmuskeln und Beine, um höhere Fliehkräfte aushalten zu können als die Piloten der anderen Seite. Für scharfe Kurven ist dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil – bei dieser Art „Wettbewerb“ für den Schwächeren tödlich. Auch an der Atemtechnik in fliegerischen Grenzsituationen arbeitet der junge Berliner. Unverbrauchte Munition nützt Jochen in unbeobachteten Momenten für Zieltechniken im fingierten Kurvenkampf gegen Felsen. Bei jedem Heimflug muss Marseilles Rottenflieger als Übungsziel herhalten. Marseille kurvt wieder und wieder ein. Jochen liest alles, was er über Luftkampftaktiken und den Gegner auftreiben kann, um die Denkweise seiner Kontrahenten zu verstehen. Und er kommt zu seinen eigenen Schlussfolgerungen.

In den Weiten der Wüste ist die Sicht am wolkenlosen Himmel so gut, dass ein größerer Verband kaum lange unentdeckt bleiben kann – es sei denn, er hat die Sonne im Rücken. Ein einzelnes Flugzeug dagegen hat bessere Chancen, länger unentdeckt zu bleiben. Marseille bevorzugt daher den Angriff alleine, allenfalls gedeckt durch einen Rottenflieger, der aus sicherer Entfernung den Luftkampf beobachtet und ihn warnt, falls nötig. Jochen sieht jene „halsbrecherischen Kunststückchen“ als seine Überlebenschance, den entscheidenden fliegerischen Vorteil, weil ihm bei diesen Flugmanövern kein Gegner folgen kann. Marseille fliegt nicht seine Me 109, er ist sie. Und er feuert zunehmend mit einer Präzision, die an Hexerei grenzt. Jochen sucht sich einen bestimmten Abstand zum Gegner. Durch seine Flugkünste schafft er es regelmäßig, enger zu kurven als dieser – obwohl eine Hurricane oder gar Tomahawk (auch Spitfire) in dieser Hinsicht einer Me 109 überlegen ist. In einem bestimmten Moment verschwindet der Gegner unter der eigenen Motorhaube – da der eigene Flugweg beim „enger kurven“ nun über den Gegner hinwegführt. Das ist der Augenblick, in dem Marseille schießt. Einen Bruchteil einer Sekunde. Bei gleicher Entfernung und gleichem Moment des Feuerns relativ zur Position des Gegners, somit zwangsläufig gleichem Winkel und gleicher Schusszeit passiert immer dasselbe. Die Garben kreuzen den Flugweg des Opfers von der Motorhaube an und enden im Cockpit. Es ist kein Geschoss zu wenig und keines zu viel. Im Durchschnitt pro Gegner 15 Geschosse der Kanone.

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Noch ist es nicht soweit – doch Jochen übt. Und hat dem General damals 50 weitere Abschüsse versprochen, immerhin. Was man verspricht, sollte man halten – oder? Er wird im Juli 1941 rückwirkend zum 1. April 1941 zum Leutnant befördert.

24. September 1941. Es ist ein Schicksalstag für einen jungen Berliner Luftwaffenpiloten über der libyschen Wüste. Eigentlich eher der ägyptischen Wüste, denn sie fliegen über der Gegend des Halfaya-Passes, als sie die neun Hurricanes der 1 Squadron SAAF gegen den Wüstenhimmel ausmachen. Ganz in der Nähe fliegen weitere neun britische Jäger einer anderen Squadron.

17.00 Uhr. Die etwa 24 deutschen Me 109 greifen aus der Sonne heraus an. Aus 6.000 Metern Höhe stürzen sich die schlanken Jagdflugzeuge auf ihre Gegner. Die Südafrikaner zerstreuen sich, formieren sich zu einem Abwehrkreis. Marseille jagt in einer Messerkurve einer Hurricane nach, die nach links oben hochzieht. Aus der Kurve heraus schießt Marseille. Im Vorbeiziehen sieht er die brennende linke Tragfläche der Hurricane. Ob sie abstürzt, sieht er nicht. Seine Kameraden schon. Marseilles Rottenflieger Oberfähnrich Kugelbauer versucht mühsam, Marseille zu folgen. Fasziniert beobachtet er dessen Flugbewegungen. Bis plötzlich Leuchtspurgeschosse an seinem Cockpit vorbeiflirren. Kugelbauer tritt reflexartig in die Pedale und kippt ab. Aus dem Augenwinkel heraus sieht er, wie Marseilles Me 109 links unter ihm nach unten wegdreht. Sekunden später stürzt sein Verfolger in Flammen gehüllt in die Wüste. Und eine Messerschmitt mit der Nummer img am Rumpf rast an Kugelbauer vorbei.

Nun haben die übrigen Hurricanes ihren Abwehrkreis vollendet. Der von den Briten so genannte „Lufberry Circle“ entstand im Ersten Weltkrieg und wird von den Deutschen ebenfalls, doch sehr viel seltener verwendet. Unter den britischen, australischen und südafrikanischen Piloten ist diese Flugfigur populär. Es ist ein Manöver, in welchem die Piloten in einem Kreis fliegen. Dadurch hat jeder Jagdflugzeugpilot einen eigenen, ihn deckenden Kameraden im Rücken, der sofort eingreifen kann, sollte ein Gegner von hinten oben zum Angriff ansetzen. Von hinten oben – dies ist die normale Anflugrichtung eines angreifenden Feindjägers. Daher ist der Abwehrkreis darauf ausgerichtet, dem Gegner diese optimale Ausgangsposition unmöglich zu machen, wenn dieser nicht Selbstmord begehen will. Allerdings macht so ein Abwehrkreis nur zur Verteidigung einen Sinn – denn die so im Kreis fliegenden Maschinen sind nun jeder offensiven Handlungsfreiheit beraubt. Sie drehen eben ihre Kreise ...

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Schematisierte Erläuterung eines Abwehrkreises, hier dargestellt anhand von P-40 „Tomahawks“. Ein normaler Angriff ist gefährlich.

Die Flugfigur wirkt nach wie vor effektiv. Denn nur wenige der deutschen Piloten sind bei allem Angriffsgeist zum Selbstmörder geboren. Mit einer Ausnahme …

Diese Ausnahme ist ein deutscher Pilot mit französisch klingendem Namen. Und mit einer img am Rumpf seines Jagdflugzeuges.

Es ist unglaublich. Im rechten Winkel zur Flugebene der Hurricanes direkt von oben in den Abwehrkreis hineinzustürzen ist schon an sich ein halsbrecherisches Unterfangen, da in den rasenden Annäherungsgeschwindigkeiten die Kollisionsgefahr enorm ist. Die Gefahr, vom Gegner abgeschossen zu werden, ist dagegen minimal – wer kann in solchen Sekundenbruchteilen schon zielen. Keiner! Außer Marseille. Der feuert direkt in die Flugbahn des Gegners, exakt und präzise vor dessen Bug!

Die winzige Zeitspanne, die ein über 500 km/h schnelles Jagdflugzeug benötigt, um quer zur Flugrichtung die eigene Flugbahn zu kreuzen, lässt es höchstens als vorbeihuschenden Schatten erkennbar werden. Zudem müssen die Waffen bereits ausgelöst sein, bevor der Gegner überhaupt im Leuchtvisier erscheint. Zu einem Zeitpunkt, an dem man das feindliche Flugzeug fast noch nicht sehen kann. Diesen Zeitpunkt kann ein Mensch mit dem Verstand nicht mehr erfassen – allenfalls erahnen.

Marseille gelingt das Unmögliche. Im Sturzflug mitten durch den Abwehrkreis treffen seine Geschosse mit unheimlicher Präzision sein Opfer. Die Hurricane stürzt vom Himmel. Jochen fängt seine Me 109 ab, zwingt sie in einen unerhört steilen Aufschwung. Die Fliehkräfte vervielfachen sein Körpergewicht, doch Marseille ist darauf eingestellt. Nun jagt die gelbe img von unten dem britischen Abwehrkreis entgegen. Als Jochen sein Jagdflugzeug wieder abkippen lässt, zieht ein brennend-roter Rauchschweif vor ihm in Richtung Wüstenboden.

Sekunden später explodiert die dritte sicher vernichtete Hurricane.

Marseille ist bereits wieder auf Steigflug und rast in den Himmel. Kugelbauer gibt alles, ihm zu folgen, und hält mühsam Anschluss – doch immerhin. „Elbe 1, kommen!“.

Der Staffelkapitän ruft per Funk nach Marseille. Die halbe Staffel beobachtet inzwischen die unerhörte Ein-Mann-Show. Doch Marseille muss sich jetzt konzentrieren. Er jagt ein weiteres Mal durch den Abwehrkreis. Eine Hurricane schert aus und versucht, auf eigene Faust zu entkommen. Es ist keine gute Idee! Marseilles Antwort auf den Funkruf „kommen!“ ist ein Feuerstoß. Wie Leuchtfinger greifen die Geschosse nach der vierten Hurricane. Ein Feuerpilz am Boden bei Buq Buq bleibt von ihr übrig ...

Es ist der 23. Luftsieg des Herrn Leutnant Hans-Joachim Marseille. Als Marseille den eigenen Fliegerhorst erreicht, scheren sämtliche übrigen Maschinen nach links und rechts aus und machen ihm Platz.

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HIer ist im Gegensatz zum Anflug von hinten oben Marseilles Husaren-Variante dargestellt.

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Marseille amüsiert sich sichtlich und offenbar für die Kamera „gestellt“ über ein Einschussloch oberhalb des hier gut sichtbaren Sandfilters der Me 109 E-7/trop. Es ist zweifelhaft, ob der Treffer in der Luft ebenso spaßig war. *4

Jochen paradiert viermal über der Rollbahn, bei jedem Überflug mit den Tragflächen wackelnd. Nach ihm folgen Oberleutnant Homuth und Oberfeldwebel Kowalski, die beide ebenfalls je eine Feindmaschine abgeschossen hatten. Als Jochen gelandet ist, tragen ihn seine beiden Warte auf den Schultern zu Gruppenkommandeur „Edu Neumann“. Der sieht die extreme Anspannung in Marseilles schweißgebadetem Gesicht. Aber er gratuliert Marseille von Herzen gerne.

Ob er die Abschüsse bestätigen könne, wird Marseilles „Katschmarek“ Kugelbauer gefragt. „Alle, Herr Hauptmann“, antwortet der, „aber – begreifen kann ich das trotzdem nicht!“

Im Bericht der südafrikanischen 1 Squadron über diesen Einsatz ist von ganzen Schwärmen von deutschen Jägern die Rede, die aus allen Richtungen über den eigenen Verband hergefallen und blitzartig wieder außer Sichtweite geflogen seien ...

Inzwischen kämpfen die Flieger der Achsenmächte nicht nur gegen Hawker „Hurricanes“. Seit Juli stellt sich auch die südafrikanische 2 Squadron den deutschen und italienischen Piloten in den Flugweg. Die Südafrikaner fliegen neuerdings die P-40 „Tomahawk“, ebenso die britischen Piloten der 250 und 112 Squadron. Die mit P-40 ausgerüstete australische 3 Squadron (RAAF) wird im September 1941 von Palästina nach Nordafrika verlegt. Im November folgt die 4 Squadron SAAF.

Die Tomahawks ersetzen zunehmend die inzwischen veralteten Hurricanes. Auch die Deutschen rüsten auf. Seit Ende März 1941 werden die ersten Messerschmitt Bf 109 des Typs F-1 ausgeliefert, ab Ende April 1941 bereits vom Typ F-2 – aerodynamisch verfeinert. Die „Friedrich“ ist für viele Piloten die „schönste“ Version der legendären Me 109, die je gebaut wurde. Verglichen mit der „Emil“ ist sie schneller und steigfähiger, allerdings leichter bewaffnet. Aus der Sicht Adolf Gallands zu leicht bewaffnet für die Schieß- und Zielkünste eines durchschnittlichen deutschen Piloten. Die Version F verzichtet nun auf die Tragflächenwaffen, nachdem es endlich gelungen ist, die von Anfang an vorgesehene, durch die Propellernabe feuernde Kanone funktionsfähig zu bekommen. Es ist inzwischen eine Mauser-MG-151-Kanone mit anfangs 15-mm-, ab Ende 194120-mm-Kaliber, die schneller feuert und eine höhere Mündungsgeschwindigkeit hat als die bisherigen zwei 20-mm-MG FF in den Tragflächen. Dafür ist es jetzt aber nur noch eine Kanone, mit der sich direkt in Flugachse eingebaut allerdings exzellent zielen lässt. Sie wird ergänzt durch die beiden unverändert beibehaltenen 7,92-mm-MG 17 in der Haube über dem Motor. Galland selber lässt seine persönliche F-2 mit zwei 20-mm-MG-FF-Flügelkanonen analog zu den „alten“ E-4 Typen aufrüsten. Ein zweites individuell modifiziertes Flugzeug hat 13-mm-MG 131 statt der normalen MG 17 in der Motorhaube – mit zierlichen (!) „Beulen“ für den Patronenauswurf – es geht also! Gallands „Beulen“ sind erheblich kleiner und daher strömungsgünstiger geformt als die des späteren Typs G-6, der die 13-mm-MG 131 serienmäßig besitzt!

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Fiat CR.42-Doppeldecker. Die Jäger sind wendig, doch mit 428 km/h zu langsam und mit zwei 12,7-mm-MGs zu schwach bewaffnet. Trotz der veralteten Konzeption behaupten sie sich relativ achtbar in Afrika. Im Vergleich zu ihrer Unterlegenheit halten sich die Verluste in Grenzen. Die Erfolge allerdings ebenfalls. Die Italiener nennen die CR.42 „Falco“.

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Obwohl sie mit 471 km/h um 43 km/h schneller ist als die Fiat CR.42, ist die Macchi C.200 „Saetta“ ebenfalls untermotorisiert und mit zwei 12,7-mm-Maschinengewehren genauso schwach bewaffnet. Sie ist wendig, was der überholten Kurvenkampfphilosophie der Regia Aeronautica entspricht. Im Hintergrund eine deutsche Messerschmitt Bf 110.

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Erst die mit einem Daimler-Benz DB 601A ausgerüstete Macchi C.202 „Folgore“ stellt den italienischen Piloten ein mit 595 km/h selbst einer Spitfire Mk. Vb gewachsenes Flugzeug zur Verfügung. Vier MGs (2x 12,7 mm und 2x 7,7 mm) sind allerdings immer noch keine üppige Bewaffnung. Es fehlen im Vergleich zur Me 109 oder Spitfire die Kanonen.

Macchi C.202 der 1° Stormo starten im Dezember 1941 in Martuba.

Staffelweise tauscht die I./JG 27 ihre betagten „Emil“ (E-7/trop) gegen die neuen „Friedrich“ (F-4/Z trop) aus. Das „Z“ definiert die GM-1 Nitro-Oxid-Einspritzung als kurzfristige Notleistung. Und auch die Italiener erhalten Verstärkung. Immer noch kämpfen ihre Jagdstaffeln mit den antiquierten Fiat CR.42-Doppeldeckern gegen die britische Wüstenluftwaffe – Jagdflugzeugen, die ebenso wenig konkurrenzfähig sind wie die etwas moderneren, aber untermotorisierten Macchi C.200 „Saetta“-Jäger.

Doch seit die Italiener den deutschen Daimler-Benz-DB-601-Motor in Lizenz fertigen, können ihre Konstrukteure Jagdflugzeuge bauen, deren Leistungen mit dem Gegner mithalten können.

Als die ersten Macchi C.202 „Folgore“ im November 1941 in Nordafrika erscheinen, können sich die Italiener endlich am Wüstenhimmel behaupten. Die C.202 „Folgore“ ist einer P-40 „Tomahawk“ mindestens gleichwertig.

Vom 15. Oktober 1941 bis zum 3. Dezember 1941 wird auch die 3. Staffel des JG 27 vorübergehend nach Deutschland verlegt und auf die neueste Version der Me 109 F-4/Z trop umgerüstet, die nun standardmäßig die 20-mm-Version der MG-151-Kanone enthält. In dieser Zeit (am 3. November 1941) erhält Marseille den Ehrenpokal der Luftwaffe für besondere Leistung im Luftkampf.

Mehr und mehr weitet sich der Krieg zum Weltkrieg aus. Bereits im Jahr 1940 hatten die deutschen Hilfskreuzer „Pinguin“ und „Passat“ – als harmlose Frachtschiffe getarnte bewaffnete ehemalige Handelsschiffe – die Hafeneinfahrten von Sydney, Adelaide und Melbourne vermint. Und nun, am 19. November 1941, stellt der australische leichte Kreuzer „Sydney“ vor Perth an der australischen Westküste das angebliche holländische Frachtschiff „Straat Malakka“.

Der Frachter zögert den Signalaustausch so lange hinaus, bis der australische Kreuzer nur noch 900 Meter entfernt neben dem Frachter fährt. Das schwer bewaffnete Kriegsschiff, das zuvor am 19. Juli 1940 im Mittelmeer den italienischen Kreuzer „Bartolomeo Colleoni“ versenkt hatte, verlangt hartnäckig den geheimen Signalcode der „Straat Malakka“. Endlich hisst deren Crew die von der „Sydney“ verlangte Signalflagge. Doch die sieht reichlich anders aus als erwartet.

Es ist die deutsche Reichskriegsflagge!

Sekunden später feuert der deutsche Hilfskreuzer aus allen – wenige Augenblicke zuvor noch verborgenen – Rohren. Die überraschte haushoch überlegene „Sydney“ feuert zurück, trifft den Maschinenraum des nun enttarnten Hilfskreuzers „Kormoran“. Doch nach kurzer Zeit ist der Feuerleitstand und die Brücke des Kreuzers zerstört. Das Gefecht dauert 30 lange Minuten. Dann zieht sich die Sydney – im gesamten Vorschiff lichterloh brennend – zurück. Man sieht nie wieder etwas von ihr. Kein Mitglied der 645 Mann starken Besatzung überlebt ihren Untergang. Die Deutschen verlieren 76 Matrosen, müssen ihr manövrierunfähiges Schiff aufgeben und versenken es selbst. Die übrigen der 393 Mann starken Besatzung gehen in die Boote, werden geborgen und in Australien interniert.

Als am 7. Dezember 1941 die Japaner den amerikanischen Kriegshafen Pearl Harbor auf Hawaii überfallen, hat sich der Krieg endgültig über den ganzen Globus ausgeweitet. Hitler hält das Bündnis mit Japan ein und erklärt den USA den Krieg. Australien ist nun Frontgebiet.

Seit 18. November 1941 ist die Front in Nordafrika erneut in Bewegung. Erwin Rommel, seit 1. Juli 1941 General der Panzertruppe, hat es mit einem neuen Gegenüber zu tun. Der britische Premierminister Churchill hatte den glücklosen Wavell durch General Sir Claude Auchinleck ersetzt. Die britische Wüstenstreitmacht heißt nun offiziell 8. Armee (8th Army), befehligt durch General Cunningham, einem der Sieger über die Italiener in Nordafrika.

Doch die Italiener von damals sind nicht mehr dieselben Soldaten wie heute. Unter Rommels Oberbefehl zeigen Mussolinis Männer, wie sie kämpfen können.

Zahlenmäßig stehen etwa 113.000 deutschen und italienischen Soldaten 118.000 Mann der 8. Armee gegenüber. An gepanzerten Fahrzeugen besteht jedoch ein wesentlich größeres Ungleichgewicht. Der britische Nachschub verstärkt sich von Tag zu Tag, während die Schiffe der Achsenmächte immer häufiger Opfer der britischen See- und Luftstreitkräfte mit ihren Basen auf Malta werden. Täglich benötigt das Afrikakorps 1.500 Tonnen an Versorgungsgütern einschließlich Wasser und Verpflegung. So viel Schiffsraum steht kaum zur Verfügung. Und dann: von Tripolis bis an die Frontlinie sind auf der Karte 1.500 Kilometer zurückzulegen – rechnet man die Kurven mit, dürften es an die 2.000 Kilometer sein. Diese Kilometer sind schutzlose Wüstenpisten. Die Gefahr folgenschwerer britischer Luftangriffe ist groß.

Dagegen haben die Engländer bis Ende Oktober 1941 300 Panzer des Typs „Crusader“, weitere 300 des leichten Typs „Stuart“ und 170 schwere „Matilda“-Panzer an die 8. Armee ausgeliefert, ferner 600 Feldgeschütze, 200 Panzerabwehr- (Pak-) Geschütze, 80 schwere, 160 leichte Flugabwehr- (Flak-) Geschütze und 430 Lastwagen. 680 britischen Panzern in vorderster Linie und 500 Reservepanzern stehen 390 deutsche Panzer gegenüber – ein Verhältnis von 3 : 1! Ähnlich verhält es sich bei der Luftwaffe, denn etwa 350 deutsche Flugzeuge haben sich rund 750 Gegnern zu erwehren.

Auchinleck hatte schon früher losschlagen wollen, doch musste er zunächst die Eroberung des Iran durch britische Streitkräfte vom Süden und sowjetische Truppen vom Kaspischen Meer aus abwarten. Diese Besetzung sichert den Nachschubweg für die alliierten Hilfslieferungen an die inzwischen unfreiwillig zum Bundesgenossen avancierte Rote Armee. Am 27. August 1941 hatte der Schah um einen Waffenstillstand bitten müssen. Später dankt er ab und übergibt den Pfauenthron seinem Sohn.

Nun ist der Zeitpunkt gekommen. Ein ungewöhnliches Ereignis deckt den britischen Aufmarsch vor den Stellungen der Achsenmächte. Es regnet in der Wüste wie aus Kübeln. Zelte schwimmen weg, die Flugplätze versinken teilweise im Schlamm. Von den Plätzen, die es betrifft, startet kein Aufklärungsflugzeug. So gelingt es den Briten, Rommel zu überraschen.

Der sollte sogar selbst Opfer britischer Kommandounternehmen werden. Die Stoßtrupps werden mit U-Booten abgesetzt und greifen das deutsche Hauptquartier im Djebel el Akhdar an. Doch Rommel ist gar nicht anwesend, er ist in Rom. Nicht für lange – er eilt schnell zurück! Das Kommandounternehmen wird zum Fiasko. Auch die SAS-Sondereinheiten („Special Air Service“, eine Sabotage-Kommandotruppe, die das „Air“ im Namen nur zur Tarnung trägt), die im Hinterland deutsche Flugplätze angreifen sollen, werden durch einen Sandsturm zerstreut, dann vorzeitig entdeckt und anschließend größtenteils aufgerieben.

Der britische Vorstoß beginnt erfolgversprechend. Die 7. britische Panzerbrigade im XXX. Korps General Norries stößt bis zum Flugplatz Sidi Rezegh vor und überrennt den Fliegerhorst. Gleichzeitig versucht die Besatzung von Tobruk einen Ausbruch – General Scobies 70. Division, die inzwischen aus Briten, Tschechen, Polen und Neuseeländern besteht, nachdem die australische Regierung im August 1941 den Austausch der so tapfer aushaltenden Landsleute erzwungen hatte. Nur ein australisches Bataillon ist in Tobruk zurückgeblieben.

Scobies Stoßkeil trifft in den äußeren Ringstellungen um Tobruk auf überraschend hartnäckigen deutschen Widerstand. Die 70. Division wird am Ausbruch aus Tobruk gehindert, während der deutsche General Crüwell schnell und souverän reagiert und die 21. Panzerdivision gegen die 4. Panzerbrigade der Briten wirft, die an Sidi Omar vorbei in Richtung Küste vorprescht. Crüwell stoppt diesen Vorstoß. Die 4. britische Panzerbrigade kehrt daraufhin um und folgt der 7. Panzerbrigade nach Sidi Rezegh.

Anschließend greifen die Panzer seiner 21. und 15. Panzerdivision die Neuseeländische Division an, welche in Richtung Sidi Azeiz vorstößt. Nun dirigiert der inzwischen eingetroffene Rommel die 21. und 15. Panzerdivision um und lässt sie in Richtung auf den Flugplatz Sidi Rezegh rollen.

Dies erlaubt den nun entlasteten Neuseeländern die Wiederaufnahme ihres Vorstoßes, während die 7. britische „Armoured Brigade“ (Panzerbrigade) plötzlich deutsche Panzer in ihrem Rücken hat. Es kommt zu erbitterten Panzerschlachten. Die Engländer können den deutschen Gegenangriff erst zum Stehen bringen, nachdem 113 der ehemals 141 britischen Panzer abgeschossen in der Wüste liegen.

Am Nachmittag des 22. November 1941 drängt die 21. deutsche Panzerdivision die 22. britische Panzerbrigade nach Süden zurück, die versucht hatte, von dort aus in Richtung Sidi Rezegh vorzustoßen. In der Nacht zum 23. November 1941 überrascht die 15. deutsche Panzerdivision die 4. britische Panzerbrigade und vernichtet den britischen Verband komplett.

Die Deutschen erobern den Flugplatz bei Sidi Rezegh zurück. In der Zwischenzeit verhindert die italienische Division „Giovani Fascisti“ einen Durchbruch der 22. britischen Panzerbrigade und 1. südafrikanischen Division bei Bir el Gubi. Die „Jungfaschisten“ werden unterstützt durch die italienische Division „Ariete“, deren Panzer sich den britischen Kampfwagen stellen. Die Italiener kämpfen aufopfernd und tapfer. Sie halten ihre Stellung – es ist kein Durchkommen hier.

Nun vereinigen sich die Verbände der 15. deutschen Panzerdivision mit den Italienern um Bir el Gubi. Auf dem Vorstoß nach Süden treffen die deutschen Panzer auf die 5. südafrikanische Brigade. Die 22. britische Panzerbrigade kommt zu Hilfe, so gut sie kann, während die Deutschen Verstärkung durch das 5. Panzerregiment der 21. Panzerdivision erhalten.

Als die Nacht gnädig das Schlachtfeld bedeckt, haben die Südafrikaner der „5th South African Brigade“ sämtliche Fahrzeuge samt Ausrüstung und zwei Drittel ihrer Männer verloren.

Nun stürmen die deutsch-italienischen Verbände im Süden gegen die ägyptische Grenze vor und bedrohen die britischen Reserven. Das ungestüme Vorpreschen wird von den Briten später „dash to the wire“ genannt („Sturmlauf zum Draht“, womit der Grenzdrahtzaun zwischen Libyen und Ägypten gemeint ist). Gleichzeitig war jedoch inzwischen die neuseeländische Division an der Küste entlang in Gegenrichtung vorgestoßen und hatte nun Tobruk erreicht. Die Neuseeländer durchbrechen den Belagerungsring. Dies wiederum zwingt Rommels Vorstoß im Süden zur Umkehr, obwohl am 1. Dezember 1941 Tobruk durch wütende deutsche Gegenangriffe wieder eingeschlossen ist.

Die Schlacht ist in einem kritischen Stadium für beide Seiten. Rommels 21. Panzerdivision verfügt nun nur noch über 21 Panzer, die 15. Panzerdivision hat noch 39 Kampfwagen einsatzbereit. Auf der anderen Seite stehen immer noch Hunderte unzerstörter Gegner – trotz bitterster Verluste der 8. Armee. Andererseits ist der Rest der 8. Armee von der Einschließung bedroht. Rommel wird die Sache zu heiß! Ein kleiner Fehler in dieser prekären Lage, und das gesamte Afrikakorps steht auf dem Spiel!

Sein Vorstoß im Süden verfehlt den vollständigen Sieg über die 8. Armee nur um Haaresbreite. Doch Rommel entscheidet sich, den Kampf abzubrechen. Der Treibstoff geht ihm aus, und alle Bemühungen, ein britisches Treibstofflager unzerstört in die Hände zu bekommen, waren ergebnislos geblieben. Auch die britische Luftwaffe setzt den Bodentruppen des Afrikakorps immer gefährlicher zu. Rommel zieht sich zurück. Am 7. Dezember 1941 wird Tobruk von den Briten befreit. Bei Gazala bringen Rommels Verbände die nachrückende 8. Armee noch einmal zum Stehen.

Allerdings sind die Flanken dieser Stellung zur Wüste hin gefährlich offen und leicht zu umgehen. Rommel befiehlt daher den weiteren Rückzug. Anfang Januar 1942 stehen seine Einheiten wieder bei El Agheila wie elf Monate zuvor ...

Phase 1:

Die 21. deutsche Panzerdivision stoppt die 4. britische Panzerbrigade. Diese folgt daraufhin der 7. britischen Panzerbrigade nach Westen. Letztere erobert den Flugplatz von Sidi Rezegh, ein britischer Ausbruchsversuch aus Tobruk scheitert.

Phase 2:

Rommel setzt die 21. und 15. deutsche Panzerdivision nach Sidi Rezegh in Marsch. Die 7. britische Panzerbrigade wird fast aufgerieben.

Phase 3:

Die 4. britische Panzerbrigade sowie die 5. südafrikanische Brigade werden vernichtet, die beiden deutschen Panzerdivisionen vereinigen sich mit der italienischen Division „Ariete“ und neutralisieren die 22. britische Panzerbrigade und 1. südafrikanische Division.

Phase 4:

Rommel stößt nach Osten in den Rücken der Briten und bedroht die 8. Armee mit der Einschließung, während deren Neuseeländische Division inzwischen an der Küste vorankommt und nach Tobruk durchstößt. Deutsche Gegenangriffe schließen Tobruk wieder ein. Dem deutschen Afrikakorps gehen die Reserven und der Treibstoff aus – trotz günstiger Lage muss Rommel die Schlacht abbrechen und sich zurückziehen.

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Ein „Crusader“ (Kreuzritter) passiert einen abgeschossenen deutschen Panzer IV.

Flog die britische Desert Air Force (Wüstenluftwaffe) bisher überwiegend in Squadronstärke (durchschnittlich 15 Flugzeuge) ihre Einsätze, so tauchen nun immer häufiger ganze Gruppen (Wings) über den deutschen Stellungen auf. Die britischen Tiefflieger werden zu einer ernsten Gefahr für die deutschen und italienischen Lastwagenkonvois, vor allem für den so wertvollen Nachschubtransport. Auch die Ju 87-Sturzkampfbomber der Achsenmächte bekommen das Erstarken der britischen Luftstreitkräfte zu spüren. Im November 1941 stehen im gesamten Mittelmeerraum 357 deutschen Flugzeugen (ohne die Italiener, deren Jäger eher weniger erfolgreich agieren) 750 britische Flugzeuge in 49 Squadrons gegenüber. An der Wüstenfront selbst fliegen etwa 27 einsatzklare Me 109 des JG 27 gegen ungefähr 400 Jagdflugzeuge der Western Desert Air Force. Im Dezember bessert sich dies etwas. Am 5. Dezember 1941 ist die 3./JG 27 wieder in Ain-el Gazala, aus Deutschland zurückgekehrt mit Me 109 des Typs F-4/Z trop. Die 1./JG 27 ist bereits umgerüstet, die 2. Staffel folgt am 8. Dezember 1941. 30 Jäger des JG 27 eskortieren nun am 5. Dezember 1941 40 (vermutlich italienische) Ju 87 „Stukas“. Sie treffen auf 25 Tomahawks der 250 Squadron RAF und 112 Squadron RAF. Trotz heftiger Gegenwehr der Me 109 aus der I./und II./JG 27 gelingt es den Briten, 18 Stukas vom Himmel zu holen. Alleine Flight Lieutenant Caldwell kann fünf davon zum Absturz bringen. Die Briten büßen fünf P-40 „Tomahawks“ ein. Bei allen bemerkenswerten Erfolgen der deutschen Jagdflieger: auch ihre britischen, südafrikanischen und australischen Gegner verstehen zu kämpfen. Und zu treffen. Sie sind mehr und mehr in Überzahl, obwohl die I./und II./JG 27 nun Verstärkung durch die III./JG 27 und III./JG 53 erhalten. Am Nachmittag trifft die 3./JG 27 auf Hurricanes der 274 Squadron RAF sowie 1 Squadron SAAF. Oberleutnant Homuth und Leutnant Marseille können ohne eigene Verluste je eine Hurricane abschießen.

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Douglas „Boston” III.

(Die hier gezeigte 107 Squadron fliegt den Typ von England aus).

Marseille passt die neue Version der Me 109 wie ein Maßanzug. Die Maschine liegt dem jungen Jäger-Ass, als hätte Willi Messerschmitt sie für ihn konstruiert. Marseilles Erfolge werden häufiger. Aber auch andere Piloten sind erfolgreich. Als Feldwebel Fritz Elles von der 2./JG 27 am Nachmittag des 10. Dezember 1941 zur „Tea time“ (Tee-Zeit) sechs Bomber des britisch genutzten amerikanischen Typs Douglas „Boston“ sichtet, ist dies das Ende für den Verband. Die Südafrikaner der 24 Squadron SAAF fliegen ohne Begleitschutz! Ihr Squadron Leader (Staffelkapitän) Major Donnelly ist der einzige, der mit völlig zerschossenem Abwehr-MG-Stand schwer getroffen den eigenen Fliegerhorst wieder erreicht. Der schwarze Tag der Squadron wird von den Briten seither die „Boston Tea Party“ genannt.

Am 17. Dezember 1941 kann Marseille elf Abschüsse innerhalb von 14 Tagen vorweisen. 36 sind es nun insgesamt. Als er nach den letzten beiden Erfolgen gerade wieder gelandet ist, wird er unverhofft zum Gruppengefechtsstand befohlen. Dort steht Marseille völlig überraschend dem General der Flieger Hans Geisler gegenüber und dem Oberbefehlshaber Süd der deutschen Wehrmacht, Generalfeldmarschall Albert Kesselring. Marseille ist der erste deutsche Flieger in Nordafrika, der das „Spiegelei“ verliehen bekommt - so nennen die Soldaten das Deutsche Kreuz in Gold. Und dies vom Vorgesetzten Erwin Rommels persönlich! Inzwischen ist selbst Reichsmarschall Hermann Göring auf den jungen Jagdflieger aufmerksam geworden. Marseille wird zum Propagandainstrument.

Den Rückzug Rommels aus der Gazala-Stellung am 18. Dezember 1941 kann dies alles nicht verhindern. Die ersten britischen Panzerspähwagen nähern sich bereits dem Flugplatz, als die letzten Maschinen der 3./JG 27 in Derna starten. Im letzten Moment spurtet Marseilles Rottenflieger Feldwebel Pöttgen noch einmal zum Flughafen-Leitgebäude zurück. Dort hinterlässt er den künftigen Besitzern eine freundliche Gruß-Nachricht auf der Eingangstür:

„We come back! Happy Christmas!”

Als das Afrikakorps mit seinen italienischen Verbündeten die alten Ausgangsstellungen in El Agheila erreicht, sind beide Kriegsparteien erschöpft. Jede Seite hat schwere Verluste hinnehmen müssen. Es tröstet Rommel wenig, dass die der Briten erheblich höher liegen – deren wesentlich bessere Versorgungslage lässt sich dafür nicht mit der seinen vergleichen. Allerdings hat nun die 8. Armee der Briten wieder das Problem der langen Nachschubwege. Und Rommel hat soeben zwei volle Schiffsladungen mit neuen Panzern erhalten ...

Als der Vorstoß der 8. Armee zum Stillstand kommt, ist Auchinleck überzeugt, dass auch die Verbände seines Gegners eine Pause benötigen – ebenso dringend wie seine eigenen. Die Engländer ersetzen einen Teil ihrer abgekämpften Divisionen durch frische Truppen. Unerfahrene Einheiten. Es scheint, als müsse sich die Geschichte wiederholen.

Der britische Funkverkehr wird nicht nach allzu strengen Geheimhaltungskriterien geführt. Rommel weiß daher, dass nur noch wenige der britischen Panzer einsatzbereit sind. Die Briten wiederum vertrauen auf ihre Erkenntnisse aus dem entschlüsselten „Enigma“-Code der Deutschen, die es ihnen erlauben, den deutschen Funkverkehr mitzuhören. Und dem ist nicht zu entnehmen, dass der schwäbische deutsche Oberbefehlshaber etwas im Schilde führt.

Fatal nur, dass der „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel gar nicht daran denkt, seinen Vorgesetzten Generalfeldmarschall Albert Kesselring in Italien um Erlaubnis zu fragen. Erst recht nicht die zögerlich vorsichtigen italienischen Stäbe.

Es gibt keinen aufschlussreichen Funkverkehr nach Italien.

Wohl aber einen aufschlussreichen Funkverkehr des amerikanischen Militärattachés in Kairo. Der funkt seine Lageberichte streng verschlüsselt nach dem so genannten „Black Code“ nach Washington. Diesen Code halten die Amerikaner für genau so sicher wie die Deutschen ihre „Enigma“-Chiffriermaschine. Daher macht sich der Amerikaner keine Sorgen, wenn er die britische Einschätzung der nächsten Schachzüge Rommels über den Äther sendet. Doch italienische Spione hatten bereits vor dem Kriegseintritt der USA in der amerikanischen Botschaft Roms die Unterlagen fotografiert.

Die deutschen Dechiffrierspezialisten des Afrikakorps hören mit. Und wissen Bescheid. Die Engländer hören den deutschen Funkverkehr ebenfalls mit. Es gibt derzeit nicht viel Aufregendes zu berichten.

Es gibt lediglich eine drastische Überraschung, als das gesamte deutsche Afrikakorps mitten im Rückzug auf dem Absatz kehrt macht und völlig unerwartet zum Angriff übergeht. Die Verblüffung der britischen Befehlshaber ist derart, dass die 8. Armee fast desolat nach hinten strebt. Bei Antelat versucht die unerfahrene und neu in Afrika eingetroffene 1. britische Panzerdivision, sich der deutsch-italienischen Streitmacht in den Weg zu stellen.

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Deutscher Panzer III – laut Originaltext bei einem Gegenstoß, datiert auf Februar des Jahres 1942. Man habe dabei den Gegner völlig überrumpelt,

Rommel lockt die englischen Panzer in eine Falle. Ehe die Briten sich versehen, sind sie umzingelt.

70 ihrer Panzer gehen in Flammen auf …

Fast hätte Rommel auch die 4. indische Division bei Bengasi eingekesselt. Doch die Inder entwischen ihm im letzten Moment. Der britische Kommandeur der 8. Armee, inzwischen Ritchie, und sein Oberbefehlshaber Auchinleck improvisieren hastig eine Verteidigungsstellung zwischen Ain-el Gazala und dem Wüstenfort Bir Hakeim. Das Fort wird der 1. freifranzösischen Brigade zur Verteidigung überlassen.

Es dauert gerade mal drei Wochen nach Angriffsbeginn, da hat Erwin Rommels Wüstentruppe fast das gesamte verlorene Terrain zurückerobert und steht nun erneut wenige Kilometer vor Tobruk. Als das Afrikakorps die britische Verteidigungslinie erreicht, geht ihm – mal wieder – das Benzin zur Neige. Die Befestigungen an dieser Linie bestehen teilweise bereits und werden nun von den Briten sorgfältig ausgebaut. Rommel hat nicht die Kraft und Mobilität, dies zu verhindern – er muss auf Treibstoff warten. Die Engländer verschanzen sich in Brigadestärke, jede Brigade bildet eine Verteidigungsbox. Die gesamte Front wird von kilometerbreiten Minengürteln geschützt. Teuflische Fallen und schwer zu überwindende Hindernisse. Hinter dieser Linie rüstet Auchinleck, gedrängt von Churchill, zum Angriff gegen Rommels deutsch-italienische Achsentruppen. Er soll am 1. Mai 1942 stattfinden. Doch dann wird der Termin auf Mitte Juni 1942 verschoben.

Die britische Verteidigungsstellung hat einen „Haken“. Der ist dem deutschen Oberbefehlshaber Rommel wohl bewusst. Es ist derselbe Grund, aus welchem er selbst sich drei Wochen zuvor nicht auf eine Verteidigung dieses Streifens eingelassen hatte, obwohl die britische 8. Armee damals bereits von den deutsch-italienischen Kräften des Afrikakorps an dieser Stelle gestoppt worden war.

Seit 22. Februar 1942 ist Marseille nun endlich Träger des Ritterkreuzes, seit 27. Februar 1942 ist er im Besitz der silbernen italienischen Tapferkeitsmedaille, und rückwirkend zum 1. April 1942 wird er im Mai 1942 zum Oberleutnant befördert. Er hat nun 54 Abschüsse auf dem „Konto“, doch von nun an sollten sich diese derartig schnell vermehren, dass sein Rottenflieger Feldwebel Rainer Pöttgen den Spitznamen „fliegendes Zählwerk“ erhält. Der brave Pöttgen, der Marseilles Abschüsse beobachten und bestätigen muss, wenn diese Jochen etwas „nützen“ sollen, kommt selber vor lauter Mitzählen nicht mehr zum Schuss. Man sollte meinen, dass Jochen nun arrogant und überheblich werden würde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Je erfolgreicher der junge Berliner in der Luft agiert, desto weniger hat er es nötig aufzuschneiden oder sich mit Extravaganzen zu produzieren. Jochen wird immer bescheidener, fürsorglicher. Auch nachdenklicher.

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was dann so aussieht: zerstörte britische Panzer des Typs „Valentine“, ebenfalls datiert auf 1942.

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Soldaten des Afrikakorps in der Wüste. Die Strapazen des Vormarsches sind oft genau so schwer zu ertragen wie die Kämpfe mit der britischen Armee.

An einem Abend im Wüstenzelt vertraut Marseille seinem Freund Stahlschmidt einen Traum an.

„Ich fliege“, beschreibt Jochen diesen Traum, „und plötzlich wird es dunkel um mich. Ich falle wohl schon und spüre dennoch nichts mehr. Und ehe ich unten ankomme, ist es schon aus.“

Ein merkwürdiger Traum …

Der Flugplatz in Derna ist wieder in deutscher Hand. Die sonst für ihre Höflichkeit bekannten Briten haben sich allerdings nicht revanchiert und lassen einen Willkommensgruß für die deutsche Luftwaffe vermissen. Na ja, nicht ganz. Vielleicht besteht der Willkommensgruß ja aus den Bomben der vier „Boston“-Bomber der 223 Squadron, die am 23. Mai 1942 den deutschen Flugplatz angreifen sollen. Aber irgendwie kommen diese Art von Grüßen nicht wirklich an bei den Deutschen. Marseille holt zwei von ihnen herunter, Hauptmann Homuth und Oberfeldwebel Mentnich die beiden anderen.

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Hans-Joachim Marseilles Messerschmitt Bf 109 F-4/Z trop wird gewartet. Das Foto zeigt diejenige img mit der Werknummer 10059, die Marseille ab Mai des Jahres 1942 in Martuba benutzt und auch noch Anfang Juni 1942 fliegt. Später übergibt er die 10059 an Rainer Pöttgen, der sie mit der Kennung img neben anderen weiterbenutzt.

Die Wüste zwischen Ain-el Gazala und dem Fort Bir Hakeim ist eine trostlose, bedrückende Landschaft. Steinig, düster, kahl, flach, deckungslos – und brütend heiß. Die Soldaten der 8. Armee sind in gehegeförmigen Abwehrstellungen eingegraben – jene so genannten Boxen von Brigadestärke. Zwischen den Boxen ist Niemandsland, geschützt von einer halben Million verlegter Minen, die in unterschiedlicher Verteilung und Kombination bereits beim Betreten durch Menschen explodieren oder erst unter dem Gewicht eines Fahrzeuges.

Die Soldaten hinter den Stacheldrahtverhauen werden pausenlos durch einen mächtigen Verbündeten der Achsentruppen angegriffen, unter dem Rommels Soldaten allerdings auch zu leiden haben. Gegen die Luftangriffe dieses immer in hoffnungsloser Überzahl über die Männer herfallenden Gegners gibt es kein Mittel. Es sind Milliarden von Fliegen, die die ewig durstigen in ihren Löchern kauernden Soldaten fast zum Wahnsinn treiben.

Man sehnt den Tag herbei, an dem endlich etwas geschieht. General Ritchie, Kommandeur der britischen 8. Armee, ist entschlossen, sich nicht von dem inzwischen fast legendären „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel düpieren zu lassen. Allerdings folgt er dem Rat seines Oberbefehlshabers Auchinleck nicht, die Panzerdivisionen des XXX. Korps massiert zu halten, um nötigenfalls einen massierten Gegenstoß führen zu können. Ritchie fürchtet um seine Treibstoffdepots und verteilt seine Panzer daher zu deren Schutz.

Gleichzeitig beobachtet er argwöhnisch jede Bewegung der Achsentruppen. Britische Aufklärer fliegen systematisch die Frontlinie ab und melden alles, was sie sehen. Die Berichte der Aufklärungsflugzeuge sind äußerst aufschlussreich. Fotos belegen deutsche Panzeransammlungen an der Küste. Riesige Staubwolken, an deren Spitze Lastwagen und Panzer zu sehen sind, beweisen die Verlegung fast des gesamten Afrikakorps in den Norden nahe der Frontlinie bei Ain-el Gazala. Ritchie verlegt seine Hauptstreitkräfte in diese Gegend. Die 1. südafrikanische und 50. englische Division warten auf den deutschen Angriff in vorteilhafter Abwehrposition. Ritchie ist zuversichtlich. Rommel wird angreifen, und man wird ihn hier an der Küste zerschmettern samt seines verfluchten Afrikakorps ...

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Eine Messerschmitt Bf 110 des Stabes der III. Gruppe/ZG 26 hinter Beduinen, die der ganze befremdliche Zirkus auf ihrem Boden scheinbar überhaupt nicht kümmert. Doch wenn, dann sympathisieren sie mit den Deutschen, die offenbar weniger Kolonialdünkel an den Tag legen als die Italiener oder Briten.

Am 26. Mai 1942 bereitet heftiges deutsches Artilleriefeuer den Angriff der Achsentruppen vor. Die Granaten pflügen den Wüstenboden um – bei Ain-el Gazala im Norden, wie von Ritchie erwartet. Dann greift die italienische Infanterie unter dem Kommando des deutschen Generals Crüwell an.

Im Norden. Dort, wo man in der 8. britischen Armee bestens darauf vorbereitet ist. „Come on ...!“

Merkwürdig ist nur, dass im Süden, wo die 3. motorisierte indische Brigade in der Wüste bei Bir Hakeim in aller Seelenruhe ihr Frühstück einnimmt, plötzlich die dunkle Wolkenwand eines Sandsturmes herannaht. Der Sandsturm hat einen Namen und trägt die deutsche Nummer 15. An der Spitze dieses Sandsturmes fährt Erwin Rommel persönlich. „Falls es Sie interessiert“, funkt der Kommandant der Brigade an das Armeekorps, „wir haben eine ganze verdammte deutsche Panzerdivision vor uns!“

Ritchie versteht die Welt nicht mehr. Wie kann er auch wissen, dass die von den Aufklärern fotografierten deutschen Panzer im Norden aus Leinwand bestanden hatten und die riesigen Staubwolken der deutschen Truppenbewegungen von alten Flugzeugmotoren aufgewirbelt worden waren, die Rommel auf die Pritschen seiner Lastwagen hatte montieren lassen. Die echten Panzer, die mit unterwegs gewesen waren, hatte Rommel unter Opferung wertvollen Treibstoffs alle nachts und daher unbemerkt nach Süden zurückdirigiert, geleitet durch Leuchtzeichen, die die Luftwaffe über Bir Hakeim abfeuerte.

Der „Wüstenfuchs“ hat es wieder einmal geschafft, die britischen Kommandeure vorzuführen.

Die Inder werden überrannt, entwaffnet und dann laufen gelassen, nur die Briten nimmt Rommel fest. Doch nur wenige der Freigelassenen erreichen Bir Hakeim, viele verdursten. Nun erleben auch die Deutschen eine Überraschung. Die 8. Armee besitzt inzwischen amerikanische Panzer des Typs „General Grant“. Es sind Fahrzeuge mit einer veralteten Konzeption, eher Sturmgeschütze als Panzer, da die Hauptwaffe nur schwenkbar ist. Doch diese Kanone hat das Kaliber 7,5 cm. Deutlich stärker als die 5-cm-Geschütze der deutschen Panzer III. Die ebenfalls mit einer 7,5-cm-Kanone feuernden Panzer IV sind den Grants immer noch überlegen, jedoch zahlenmäßig nicht die Hauptstütze von Rommels Panzerkräften. Diese müssen nun ungewohnt schmerzhafte Verluste im Panzerduell hinnehmen.

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Rommels Panzerarmee umgeht Bir Hakeim und fällt den Briten in den Rücken. Bir Hakeim wird pausenlos aus der Luft angegriffen, es hatte gemäß Rommels Plan in einer Stunde erobert werden sollen. Doch die 1. freifranzösische Brigade und die Fremdenlegionäre im Fort trotzen zäh jedem Angriff.

Die italienische Division „Ariete“ verliert 32 Panzer beim Versuch der Erstürmung.

Andererseits werden die britischen Panzereinheiten, die sich dem Afrikakorps entgegenstellen, zurückgeschlagen, teilweise aufgerieben – wie die 8. Husaren und die 4. Panzerbrigade, welche beide vernichtet werden. Rommels Panzer stehen nun östlich der Box der 150. britischen Brigade. Und wieder einmal geht der Treibstoff aus. Rommel hat inzwischen ein Drittel seiner Panzer verloren. Sie hatten eine erheblich höhere Zahl an Feindpanzern abgeschossen, doch der Gegner kann sich diese Verluste eher leisten!

Ritchie wittert Morgenluft. Von Osten kann er nun seine Panzerreserven gegen das Afrikakorps in Bewegung setzen, währen dieses die Box der 150. Brigade im Rücken hat. Rommel ist eingeklemmt, fast eingekesselt. „The Cauldron“ nennen die Engländer den „Sack“, in welchem Ritchie den Wüstenfuchs nun wähnt. Doch Ritchie vergibt seine Chance. In endlosen Beratungen wägt er seinen Angriffsplan ab. Inzwischen handelt Rommel und zerschlägt in mühsamen erbitterten Kämpfen von beiden Seiten die 150. Brigade. Am 31. Mai 1942 fällt die britische Stellung. Als Ritchie seine Panzer nach einem starren Angriffsschema in Bewegung setzt, haben deutsche und italienische Pioniere eine Schneise in den Minengürtel geräumt. Das Afrikakorps erhält wieder Nachschub. Und die angreifenden britischen Panzer werden im Feuer der 8,8-cm-Flak, der deutschen Artillerie- und Panzerkanonen zerfetzt. Die 32. britische Panzerbrigade gerät zudem in ein eigenes Minenfeld und bleibt dort im deutschen Artilleriefeuer liegen. 50 ihrer 70 Panzer werden zerstört. Obwohl auch Nehring melden muss, dass ihm von seinen 320 deutschen Panzern nun nur noch 130 geblieben sind, gehen die Deutschen zum Gegenangriff über und vernichten weitere 153 britische Panzer. Die britischen Reserven sind verbraucht und aufgerieben. Die Position Ritchies wird hoffnungslos.

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Würde Rommel seine Kräfte nun zur Küste dirigieren, wäre die Vernichtung der 8. britischen Armee komplett. Das XIII. britische Korps wäre verloren, würde ihr Rommel nun die Rückzugsstraße an der Küste abschneiden. Nichts steht dem Afrikakorps noch ernsthaft im Wege, was das verhindern könnte. Doch auch der clevere Fuchs macht Fehler. Er ist wütend darüber, dass in seinem Rücken immer noch ein kleines Wüstenfort den dort weit überlegenen Truppen seiner Streitmacht trotzt. Rommel will diesem Ärgernis auf seiner Karte ein Ende bereiten und setzt die 15. Panzerdivision und 90. leichte Division auf Bir Hakeim an. Über dem Fort toben heftigste Luftkämpfe, Grabenkämpfe am Boden. Aber die Franzosen zerschlagen alle Angriffe in höllischem Abwehrfeuer. Erst als ihnen das Wasser ausgeht, brechen sie aus. In einer rabenschwarzen Nacht am 11. Juni 1942 kämpfen sich die Franzosen Mann gegen Mann durch den Belagerungsring. Viele sterben, doch der überlebende Rest vereinigt sich mit der 7. englischen Brigade.

Inzwischen hat Rommel seinen Fehler erkannt und stellt die Briten bei El Adem. Immer noch ist das Zahlenverhältnis der britischen Panzer 2 : 1 gegenüber den deutschen Kampfwagen, das der Geschütze 3 : 1. Die britische 201. Gardebrigade wehrt sich in ihrer „Knightsbridge“ genannten Stellung bravourös. Es nützt alles nichts. Allerdings hatte das XIII. britische Korps durch Rommels Attacke gegen Bir Hakeim Zeit genug gehabt, wenigstens einen Teil seiner Kräfte zu retten. Die Briten ziehen sich nach Tobruk zurück und richten sich erneut auf eine Belagerung ein. Doch dieses Mal hat Rommel seine Lektion gelernt. Er stößt der Hauptstreitmacht der 8. Armee nach, die sich wieder nach Ägypten zurückzieht. Zumindest tut er so und wiegt die Verteidiger Tobruks dadurch in Sicherheit.

Dann schwenken seine Streitkräfte überraschend zur Küste und greifen die Stadt an.

Tobruks Festungsanlagen sind durch die erste Schlacht um die Hafenstadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch kommt der Angriff der Achsentruppen völlig überraschend. Am 20. Juni 1942 fallen sämtliche Bomber der deutsch-italienischen Wüstenluftwaffe über Tobruk her, selbst aus Kreta fliegt eine Staffel an. Eine Stunde später überrollen die deutschen Panzer die indischen Vorposten. Um 19.00 Uhr dringen sie in Tobruk ein, wo sich 35.000 Mann, unter anderem die gesamte 2. südafrikanische Division und drei Brigaden, unter dem Befehl des südafrikanischen Generals Klopper in aller Ruhe auf eine Belagerung einzurichten gedenken – hervorragend mit Wasser und Nachschub versorgt.

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Generalfeldmarschall Erwin Rommel (links) beim Kartenstudium mit Generalmajor Stefan Fröhlich (rechts).

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Am Abend marschieren sie völlig demoralisiert in deutsche Gefangenschaft.

Tobruk ist gefallen. Ein Fanal! Churchill ist entsetzt.

Rommel wird Feldmarschall, und allmählich bei seinen britischen Gegnern zum Gespenst. Sein Afrikakorps treibt gemeinsam mit den Italienern die Einheiten Großbritanniens vor sich her. Vom 27. bis zum 29. Juni 1942 stabilisieren sich die britischen Truppen schließlich bei Marsa Matruh in Ägypten.

Rommel greift an – und überrollt die britische Abwehrlinie. Die 8. Armee wird erneut geschlagen.

Am 30. Juni 1942 steht das deutsche Afrikakorps vor der nächsten britischen Verteidigungsstellung – der allerletzten vor dem Nil! Sie liegt nicht einmal 100 Kilometer von Alexandria entfernt. In Alexandria selbst werden von den britischen Stäben bereits die Papiere verbrannt.

Der deutsche Sieg in Afrika ist zum Greifen nahe. Nichts kann Rommels Panzer aufhalten, so scheint es. Ist Ägypten in deutscher Hand, so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Palästina, der Irak und Persien ebenfalls von den Briten geräumt werden müssen. Dann stehen Rommels Panzer an der Südgrenze der Sowjetunion. Von hier aus sind die Ölquellen am Kaspischen Meer bei Baku fast in Sichtweite. Haben die Deutschen diese Ressourcen, ist ihr Versorgungsproblem mit Benzin ein für alle Mal gelöst.

Ihr Versorgungsproblem! Rommels Truppen geht vor El Alamein endgültig der Nachschub aus ...

3. Juni 1942

Am 3. Juni 1942 ist der Kampf um Bir Hakeim in vollem Gange. Die 3. Staffel soll die Stukas der I. Gruppe des Stukageschwaders 3 begleiten. Es sind nur sechs Maschinen, die diese Aufgabe übernehmen. Der von Oberstleutnant Sigel geführte Sturzkampfbomberverband ist bereits über den Flugplatz der Jägerstaffel hinweg geflogen. Die Messerschmitt-Piloten warten noch etwas mit dem Start, da ihre schnellen Jäger die Stukas noch rechtzeitig vor dem Ziel eingeholt haben werden.

Dann röhren die 1.350 PS starken Motoren los. Ein Jagdflugzeug neben dem anderen setzt sich in Bewegung. Eine lange Staubwolke hinter sich her ziehend heben die schnittigen Maschinen ab.

Da sind die Stukas! Lange vor dem Überfliegen der Front nehmen die deutschen Jäger ihre Schützlinge in die Obhut. Die Bordschützen der Ju 87 winken ihnen zu. Die Messerschmitt-Piloten umkreisen die langsameren Bombenflugzeuge und halten die Augen offen. Die Uhr zeigt kurz nach Mittag.

Dann kommt Bir Hakeim in Sicht. Betonbunker und Unterstände sind aus der Luft erkennbar. Und die Rohre der Flugabwehrgeschütze, die nun das Feuer eröffnen. Sprengwölkchen der Explosivgeschosse umringen wie kleine graue Wattebäusche die bösartigen Greifvögeln ähnelnden deutschen Stukas.

Unbeeindruckt vom schweren Abwehrfeuer kippen die Sturzkampfbomber ab und heulen ihren Zielen entgegen. Das Krachen der Einschläge mischt sich mit dem Bellen der französisch bedienten Schnellfeuerkanonen, als plötzlich eine Warnung in den Kopfhörern der in 2.000 Metern Höhe kreisenden Jägerpiloten zu hören ist. „Aufpassen, Indianer aus Süden, eintausend Meter Überhöhung!“

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Messerschmitt Bf 109 F-4/Z trop der 3./JG 27 beim Wüstenstart.

Es sind etwa 15 P-40 „Tomahawks“. Neun davon gehören zur 5 Squadron SAAF, die Identität der übrigen sechs ist nicht bekannt. Sie haben es auf die Stukas abgesehen. Die Südafrikaner fliegen in Linie und ausgesprochen ungestüm ihren Angriff. Sie fegen aus allen Rohren feuernd durch den Stuka-Verband. Vier der Ju 87 werden abgeschossen, wobei drei Besatzungen fallen, die vierte gerät in Gefangenschaft. Doch nun sind die deutschen Jäger auf dem Plan – inzwischen auch sechs Me 109 der III./JG 53, die sich den sechs Jägern des zweiten Verbandes widmen und drei abschießen.

Einer der südafrikanischen Piloten ist Captain Louis Botha, welcher heute ein glanzvolles Debüt präsentiert. Er reklamiert gleich mehrere Ju 87 für sich, und das bei seinem ersten Einsatz! Als er mitten im Angriff zurückblickt, sieht er eine einzelne Me 109 auf ihn und seine Kameraden herabstürzen. Botha kann in seiner img gerade noch unter einem Stuka hindurchtauchen. Er hat keine Ahnung, wem er da soeben knapp entkommen ist. Marseille hält nichts mehr. In fast senkrechtem Sturzflug rast er durch den gegnerischen Verband, zieht hoch und befindet sich mitten zwischen ihnen. Bevor die Südafrikaner überhaupt realisieren können, dass nun einer mit der anderen Feldpostnummer unter ihnen ist, fressen sich Marseilles Geschosse vom Bug bis zum Heck durch eine Tomahawk. Als sie brennend abstürzt, ist „Seille“ längst wieder nach unten abgetaucht. Nur um mit dem Fahrtüberschuss des Sturzfluges erneut in den Himmel zu rasen. Marseille steigt über die braungelben Jäger mit den britischen Kokarden auf Rumpf und Tragflächen hinaus und gewinnt Höhe.

Als die erste Tomahawk auf dem Boden zerschellt, rast das Phantom mit der gelben Nummer img bereits wieder in das Rudel der südafrikanischen Jäger hinein. Aus 50 Meter Entfernung feuert Marseille. Seine Bordkanone klemmt plötzlich – doch die beiden Maschinengewehre genügen dem Piloten der img . Er ist schon wieder weg, bevor die Südafrikaner überhaupt eine Chance zur Reaktion haben. Die zweite P-40 schert brennend aus der Formation aus und stürzt vom Himmel. Inzwischen schlägt sich der Rest der Staffel mit anderen Tomahawks herum, während die Stukas nach Westen abfliegen. Jochens Rottenflieger Feldwebel Rainer Pöttgen hat mal wieder eine Sonderaufgabe. Er passt auf sich selber auf und beobachtet Marseille aus sicherem Abstand.

Der fegt wie ein Besessener durch den südafrikanischen Verband. Dieser beginnt nun auseinander zu brechen, die Maschinen verlieren immer mehr an Höhe. 1.000 Meter über dem Erdboden erwischt es die dritte Tomahawk, Sekunden später die vierte. Sie zerlegt sich in ihre Einzelteile. Als Marseille durch die Trümmer hindurch fliegt, findet er sich neben seinem fünften Opfer wieder. Im Abdrehen feuert Jochen – und trifft abermals voll. Die Garben der Maschinengewehre sägen durch den Motor und beenden ihr Zerstörungswerk im Cockpit des südafrikanischen Jagdflugzeuges. Insgesamt fallen ihm sechs Tomahawks zum Opfer. Eine davon ist die img des südafrikanischen Jäger-Asses Captain Robin Pare. Pare hatte im Herbst 1940 und Frühjahr 1941 über Abessinien in Ostafrika gegen die Italiener gekämpft und insgesamt sechs Abschüsse erzielt, so viele wie Marseille alleine heute. Am 29. April 1941 hatte er hierfür das DFC (Distinguished Flying Cross) verliehen bekommen. Danach war er Ausbilder in einer Jagdschule geworden. Im Dezember 1941 war er der 5 Squadron SAAF zugeteilt worden, die seit Anfang März 1942 nun in Nordafrika gegen die Deutschen und Italiener kämpft. Heute verlässt ihn sein Glück.

Der ganze Luftkampf hatte gerade mal elf Minuten gedauert. Teilweise lagen nur 15 Sekunden zwischen den Abschusserfolgen des Deutschen namens „Elbe 1“. Als Marseille den Rückflug antritt, gesellen sich die anderen fünf Maschinen seiner Staffel hinzu. Keine fehlt. Später trifft der Verband auf weitere Maschinen der I. Gruppe des Geschwaders. Sie werden geführt vom Geschwaderkommodore Neumann selbst, der Jochen bereits in der Luft gratuliert. Kurz darauf geraten vier Me 109 der II./JG 27 auf weitere zwölf P-40 „Kittyhawk“. Unteroffizier Giester kann eine davon so beschädigen, dass sie auf dem Wüstenboden heruntergeht und notlanden muss.

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Wohlbehalten zurück auf dem Wüstenboden.

Über dem Platz Martuba wackelt Jochen im Überflug dreimal mit den Tragflächen. Dann kehrt er um und fegt erneut dreimal mit den Flächen wackelnd über die hartgewalzte Sandpiste. Auf dem Boden ist von diesem Moment an die Hölle los. Arme recken sich jubelnd in die Luft, Mützen fliegen umher ...

Dies spitzt sich zu, als Waffenwart Schulte nach Jochens Landung die Motorhaube öffnet und ein derart verblüfftes Gesicht zieht, dass der erste Wart aufmerksam wird und nachfragt, was denn los sei? Der Waffenwart zählt die fehlenden Geschosse. Es sind zehn aus der klemmenden Kanone und 360 Schuss Maschinengewehr-Munition. Eine 20-mm-Kanone des Typs MG 151 feuert 800 Schuss pro Minute – zehn Schuss sind also in weniger als einer Sekunde draußen. Und 360 Schuss MG-Munition aus zwei MGs bedeutet bei 6 Abschüssen im Mittel 60 Schuss pro Gegner, 30 pro MG. Bei einer Feuergeschwindigkeit von knapp 20 Schuss pro Sekunde sind dies Feuerstöße von im Durchschnitt eineinhalb Sekunden (!) pro Abschuss.

Das grenzt an Zauberei. Doch Pöttgen hat jeden einzelnen Abschuss gesehen. Es sind nun 75 insgesamt geworden. Davon heute sechs in elf Minuten. So etwas ist nicht mehr zu toppen. Das glaubt jeder ...

Am 6. Juni 1942 wird Marseille das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen. Am 8. Juni 1942 wird Jochen Staffelkapitän „seiner“ 3. Staffel des Jagdgeschwaders 27.

Die Luftkämpfe über Bir Hakeim gehen weiter. Am 10. Juni 1942 ist alles in der Luft, was fliegen kann – auf beiden Seiten. Auch die Italiener greifen in die Kämpfe ein und bewähren sich in ihren schnellen Macchi C.202 „Folgore“-Jagdflugzeugen hervorragend. Doch auf der anderen Seite tauchen plötzlich Gegner auf, welche auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz neu sind. Es sind für manch einen Jagdflieger alte Bekannte aus den Zeiten an der Kanalküste. Spitfire! Allerdings in einer deutlich verbesserten Version. Ähnlich wie die Deutschen ihre Me 109 zum Typ F-4 aufgerüstet haben, fliegen die Briten nun den Supermarine-Jäger in der Variante Vb. Diese Spitfire ist der Me 109 F-4 absolut ebenbürtig.

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Marseille in seiner Me 109 F-4/Z trop, Werknummer 10059, img, Anfang Juni 1942. Die deutsche Wochenschau vom 17. Juni 1942 zeigt ihn in dieser Maschine am 1. Juni 1942, es ist davon auszugehen, dass er sie auch am 3. Juni 1942 fliegt.

Am 17. Juni 1942 benötigt Marseille für sechs Gegner nur noch zehn Minuten. Der sechste Abschuss ist eine Spitfire, Marseilles 101. Luftsieg insgesamt. Nur zehn andere deutsche Jagdflieger hatten vor ihm bereits die magische Zahl 100 überschritten – doch größtenteils an der Ostfront. Die Kampftaktik der Gegner dort ist kaum mit jener der RAF vergleichbar ...!

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Jochen...

3. Juni 1942

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Flugzeugtyp:

Messerschmitt Bf 109 F-4/trop

Nationalität:

Luftwaffe

Einheit:

3. Staffel (I. Gruppe)/JG 27

Pilot:

Oberleutnant Hans-Joachim Marseille

Stationierung:

Martuba, Libyen, 3. Juni 1942

Flugzeugtyp:

Curtiss P-40 IIB „Tomahawk“

Nationalität:

South African Air Force (SAAF)

Einheit:

5 Squadron

Pilot:

Captain Robin S. Pare

Stationierung:

Gambut, Libyen, 3. Juni 1942

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Messerschmitt Bf 109 F-4/Z trop, 3./JG 27, Oberleutnant Hans-Joachim Marseille, Martuba, 3. Juni 1942.

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Curtiss P-40 IIB „Tomahawk“, 5 Squadron SAAF, Captain Robin Pare, Gambut, 3. Juni 1942.

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Jochen mit seiner verehrten Mutter. Für sie wird er – letztlich tragisch – zum Nationalhelden.

Am 18. Juni 1942 folgt das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz für Jochen – als zwölftem Soldaten, der solcherart ausgezeichnet wird. Marseille muss widerwillig nach Deutschland fliegen, um diese Ehrung von Hitler persönlich entgegennehmen zu können. Die deutsche Wochenschau empfängt ihn mit einem Filmteam, als er aus der Ju 52 in Berlin aussteigt und heimatlichen Boden betritt.

Am meisten freut sich neben Jochens Braut Marseilles Mutter über die Anwesenheit ihres berühmten Sohnes. Eines Abends führt Marseille seine Mutter ins Kino – sorgfältig in Zivil, um nicht aufzufallen. Denn in Uniform kennt ihn inzwischen ganz Deutschland.

Vor dem Film wird obligatorisch die Wochenschau gezeigt. Die Zuschauer beobachten fasziniert einen Luftkampf über dem Ärmelkanal. Ein deutscher Jäger misst sich mit einem britischen und kommt nach spannendem Kurvenkampf endlich in Schussposition. Doch nein – die deutschen Leuchtspurgeschosse flirren erkennbar vorbei, liegen zu kurz. Marseille vergisst seine Umgebung, ist mittendrin, fiebert mit. „Vorhalten, Vorhalten!“ schreit er auf. Da dreht sich sein Vordermann verärgert um und zischt: „Watt versteen Sie denn davon, junger Mann, se sinn doch keen Marseille ...!“

Jochen öffnet den Mund – und verstummt ...

Auf dem Rückweg nach Nordafrika wird Marseille von seiner Verlobten begleitet. Es sind unbeschwerte Tage in Ostia am Mittelmeer. In dieser Zeit – am 6. August 1942 – wird Marseille vom Duce die höchste italienische Tapferkeitsmedaille verliehen.

Einen Tag später, am 7. August 1942, erweist ein Kamerad Marseilles dem deutschen Afrikakorps einen Bärendienst. Das allerdings kann er nicht ahnen. Es ist ein Vorfall, der Winston Churchill, den britischen Premierminister, tief betroffen macht. Und ihn zwingt, seine Pläne zu ändern. Churchill ist äußerst unzufrieden mit dem Kriegsverlauf in Afrika und gewillt, General Auchinleck als Oberbefehlshaber der 8. britischen Armee abzulösen. Er will ihn, wie man das nennt, „in die Wüste schicken“. Nun, dort ist er schon – genau genommen.

Als dessen Nachfolger hat er einen fähigen, aggressiven Mann auserkoren, der über enorm viel Erfahrung im Wüstenkrieg verfügt: Lieutenant General William Henry Ewart „Strafer“ Gott, Kommandeur des XIII. britischen Korps. Dieser ist allerdings nicht unumstritten, hat er sich doch so manche Blessur gegen Erwin Rommel eingefahren. Auch General Gott ist in der Wüste, doch an diesem Fleck soll er nun nach Churchills Willen nicht bleiben. Stattdessen wird er nach Kairo beordert, wo er sich mit dem seit 5. August 1942 ebenfalls dort eingetroffenen britischen Prime Minister treffen soll. Churchill war an Bord einer B-24 „Liberator“ mit dem Namen „Commander“ via Gibraltar nach Kairo geflogen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Nun will er den „Rechten“ befördern. General „Strafer“ Gott ...

Als Flight Sergeant H.G. James als Pilot eines Bristol „Bombay“-Mehrzweckflugzeuges am 7. August 1942 um etwa 14.00 Uhr in Khanka nahe Kairo startet, weiß er noch nicht, welcher erlauchte Fluggast ihn heute an Bord erwarten sollte. Die Bristol Typ 130 „Bombay“ ist ein zweimotoriges Flugzeug mit zwei Waffentürmen, je einem Drehturm im Bug und im Heck. Jeder Kampfstand ist mit einem Maschinengewehr bewaffnet. Die Bombay ist als Bomber inzwischen veraltet, doch der Flugzeugtyp ist gleichzeitig als Transporter konzipiert. In dieser Rolle findet die zweimotorige Maschine mit vier Mann Besatzung noch breite Verwendung. Bis zu 24 Personen können mit dem Flugzeug befördert werden.

Flight Sergeant James hat Minen, Treibstoff, Zünder, Munition und Markierungsmittel geladen, als er nach einem haarigen Tiefstflug in Frontnähe auf dem Flugfeld Burq el Arab landet. Für den Rückflug nach Kairo werden mit laufenden Motoren 14 Verwundete und ein Sanitäter aufgenommen. Da Verwundetentransporte nicht der regelmäßige Einsatzzweck der 216 Squadron RAF sind, fehlen natürlich irgendwelche diesbezüglichen Kennzeichen am Flugzeug – wie ein rotes Kreuz beispielsweise. James will sofort wieder starten, doch ein Anruf des AOC (Air Officer Commanding) zwingt ihn trotz Protest dazu, die Motoren abzustellen und auf dem Präsentierteller auf weitere Passagiere zu warten. Der Flight Sergeant staunt nicht schlecht, als schließlich General „Strafer“ Gott und ein Beamter des Ministry of Information for Palestine (Informationsministerium für Palästina) erscheinen und in seinem Flugzeug Platz nehmen. Jetzt aber nichts wie weg hier! James lässt die Motoren an und hebt ab.

Es ist kurz nach 15.40 Uhr, jenem Zeitpunkt, als der deutsche Oberfeldwebel Emil Clade mit drei Kameraden der 5./JG 27 in Quotaifiya mit dem Auftrag startet, neben „freier Jagd“ auch Aufklärung für etwaige Anzeichen eines bevorstehenden britischen Angriffes zu fliegen. Es dauert nicht lange, da befinden sich die vier Messerschmitt Bf 109 F-4/Z trop in etwa 6.000 Metern Höhe über dem britischen Flugfeld Burq el Arab. Die deutschen Piloten sehen dort Flugzeuge starten, ein zweimotoriger Bomber versucht offenbar, im Tiefstflug in Richtung Osten abzufliegen. Clade lässt ihn fliegen – ein bisschen weg von der Reichweite der britischen Flugabwehrgeschütze um die Wüstenpiste herum.

Es ist 16.08 Uhr, als die ersten deutschen Geschosse den rechten Motor der Bombay außer Betrieb setzen. Wenig später fällt auch der linke Motor aus. Flight Sergeant James ist verzweifelt, er kann sich nicht einmal wehren – das hintere Maschinengewehr ist auf Grund der Hecklastigkeit des Flugzeuges ausgebaut – es ist nur noch eine Attrappe. James versucht eine Notlandung auf einem Abhang. Das starre Fahrwerk ist nicht einziehbar, daher befielt der Pilot seinen Passagieren, sich auf den Boden zu legen, die Seitentür und den Bombenschacht zu öffnen und sich während des Ausrollens am Wüstengrund aus dem Flugzeug fallen zu lassen. Rauch erfüllt den Rumpf, man sieht kaum noch etwas.

Der Co-Pilot, Funker, Bordmechaniker und ein Soldat schaffen es, „über Bord“ zu gehen. Dann fällt die Ladungstür wieder zu und verklemmt. Schließlich rutscht der Transporter in tiefen Sand und kommt zum Stehen. Die Deutschen haben inzwischen im Tiefflug beobachtet, dass sich die Besatzung des britischen Flugzeuges offenbar hatte retten können. Clade befiehlt daher Unteroffizier Bernd Schneider, die Maschine endgültig zu zerstören – denn nur dann wird der Abschuss als Luftsieg anerkannt, und Clade will die Gelegenheit nützen, seinem jungen Kameraden etwas moralischen Auftrieb zu verschaffen. Dass noch Männer, gar Verwundete im Rumpf der Bombay sind, ahnt Clade nicht. Es ist das Ende der Eingeschlossenen. Die Restmunition der Bombay explodiert. Nur Flight Sergeant James kommt nach dem Beschuss noch verwundet aus dem Wrack. Er versucht, Hilfe zu holen! Nach sechs Kilometern Fußmarsch trifft er auf einen Beduinen mit 20 Kamelen. Erst jetzt bemerkt er seine Verletzung. Dann stoßen James und der Araber auf einen britischen Lastwagen, dessen Fahrer eine Testfahrt durchführen. Als James mit einem Rettungsteam wieder an der Absturzstelle ankommt, findet er nur die rechtzeitig aus dem Rumpf gesprungenen Kameraden noch lebend vor. Auch General Gott ist tot!

An seiner Stelle wird General Bernard Montgomery der neue Oberbefehlshaber der britischen 8. Armee. Mit schicksalhaften Folgen für Erwin Rommels Afrikakorps ...

Am 31. August 1942 ist Hans-Joachim Marseille wieder zurück bei seiner Staffel. Der Siegeszug des „Sterns von Afrika“ Hans-Joachim Marseille ist nicht mehr aufzuhalten. Täglich erreicht ihn Fanpost aus der Heimat mit der Bitte um Autogramme und Bilder. Auch mit beigelegten Fotos hübscher Mädchen und Einladungen. Marseille antwortet inzwischen mit einer Postkarte, die auf der Vorderseite sein Bild trägt und einen vorgedruckten Text auf der Rückseite mit dem Inhalt, dass die Frontverhältnisse leider keine individuellere Antwort erlauben. Was Johannes Steinhoff wohl angesichts der vielen Verehrerinnen seines ehemaligen schwarzen Schafes empfindet, der seither zum Nationalhelden aufgestiegen ist? Und das ausgerechnet in der Wüste ...

1. September 1942: Marseille gelingen in drei verschiedenen Einsätzen insgesamt 17 Abschüsse an einem einzigen Tag. Für die ersten vier – drei P-40 und eine Spitfire – benötigt er 80 Schuss aus der Kanone und 240 Patronen MG-Munition. Doch trotz aller Erfolge können die deutschen Jäger nicht verhindern, dass die Briten ihre Bomber wirkungsvoll abschirmen. Diese tun ihren Job – mit drastischer Wirkung am Boden. Sie beeinflussen die Kämpfe empfindlich.

Auch die deutschen Jagdflieger erledigen ihre Aufgabe – sofern möglich! Denn die alliierten Widersacher werden immer zahlreicher. Die Übermacht ist kaum noch zu bewältigen. Die deutschen Jägerpiloten kommen kaum dazu, sich um angreifende britische und neuerdings auch amerikanische Bomber zu kümmern. Praktisch alle Abschusserfolge werden gegen britische, südafrikanische, australische und wiederum neuerdings auch amerikanische Jäger erzielt. Die Bomber leiden mehr unter der Flak. Am 1. September 1942 ist beispielsweise ein moderner und schwer bewaffneter amerikanischer Mittelstreckenbomber des Typs B-25 „Mitchell“ unter den alliierten Verlusten, ebenso wie eine P-40 F „Warhawk“ der 64th US Squadron.

In einem solchen ungleichen Luftkampf – acht Me 109 F-4/Z trop gegen 40 Hurricanes und P-40 des inzwischen verbesserten Typs „Kittyhawk“ sowie 20 Spitfires Mk. Vb – kann Marseille seinem Freund Leutnant Stahlschmidt im letzten Moment eine Spitfire vom Heck wegschießen. Der revanchiert sich nur wenige Sekunden später. Diese weitere Spitfire hätte leicht Marseilles Verhängnis werden können. Und ohne Marseille hätte es Stahlschmidt erwischt. Die beiden verdanken einander ihr Leben.

Hans-Arnold Stahlschmidt beschreibt diesen Einsatz am 3. September 1942 in einem Brief, den er nach Hause schreibt, folgendermaßen: *5

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Marseille hochoffiziell.

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Hans-Joachim Marseille wird gratuliert – offenbar nach einem erfolgreichen Feindflug. Es handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um jene img, die Marseille Mitte Juni des Jahres 1942 fliegt (Werknummer 10137). Der Gratulant ist vermutlich Jochens bester Freund Hans-Arnold „Fiffi“ Stahlschmidt. *6

„In diesen Tagen erlebte ich meinen schwersten Luftkampf. Er war aber zugleich das schönste Erlebnis, das ich bisher an Kameradschaft in der Luft gehabt habe. Zuerst hatten wir Luftkampf mit etwa 40 Hurricanes und Curtiss, dann kamen noch etwa 20 Spitfire von oben dazu. Wir waren zu acht mitten drin in dem unheimlichen Gewirr von feindlichen Jägern. Ich flog mit meiner 109 um mein Leben, aber trotz der riesigen Übermacht wurde nicht gekniffen, sondern wie wild gekurvt. Meine Kameraden hatten ja meine Unterstützung dringend nötig! Ich habe mich derart herumgeschlagen, dass mir der Schaum vor dem Mund stand und ich zuletzt deutlich die Erschöpfung spürte. Immer wieder hatte man einen feindlichen Jäger hinter sich. Drei- oder viermal musste ich wegdrücken, weil es einfach nicht mehr anders ging, aber dann zog ich immer wieder hoch und stürzte mich wieder in das Getümmel.

Einmal schien es für mich überhaupt keinen Ausweg mehr zu geben, ich hatte alles aus meiner Maschine herausgeholt, eine Spitfire saß 50 Meter hinter mir, da kam im letzten Augenblick Marseille und schoss den Tommy ab. Ich drückte und zog wieder hoch, da sah ich Sekunden später, wie nun hinter Marseille eine Spitfire saß. Ich zielte so sauber wie noch nie, schoss, und brennend stürzte die Spitfire ab.

Dann waren nur mehr Marseille und ich in dem tollen Gewühl übrig geblieben. Wir ergänzten uns wunderbar. Jeder von uns hatte drei Abschüsse. Völlig fertig stiegen wir zu Hause aus den Maschinen. Marseille hatte Kanonentreffer und ich elf MG-Treffer. Dann fielen wir uns um den Hals.

Es gab keine Worte für das, was wir eben erlebt hatten. Ich wäre ohne Marseille und er sicher ohne mich abgeschossen worden. Es war ein unvergessliches Erlebnis!“

Insgesamt sollten es an diesem Tage durch die I./JG 27 in allen Einsatzflügen zusammen sechs Luftsiege durch Oberleutnant Hans-Joachim Marseille, fünf durch Leutnant Arnold Stahlschmidt, zwei durch Oberfeldwebel Günther Steinhausen und einer durch Leutnant Hans Remmer sein. Vierzehn also – ohne eigene Verluste. Das ist wahrlich nicht immer so!

Am 7. September 1942 gerät ein Schwarm des JG 27 südöstlich von El Alamein erneut an britische Spitfire. Marseille ist nicht dabei. Doch Stahlschmidt, der Staffelkapitän der 2./JG 27, immerhin zu diesem Zeitpunkt mit 59 Abschüssen der zweiterfolgreichste Jagdflieger der I./JG 27nach Marseille und der dritt-„beste“ deutsche Jäger in der Wüste. Seine Kameraden sehen noch, wie Jochens bester Freund getroffen wird, aber nicht abstürzt. Sie selber entkommen mit knapper Not, der Leutnant Karl von Lieres und Wilkau muss nach dem Überflug der Front notlanden, bleibt aber unverletzt. Sie vermuten eine Bauchlandung Stahlschmidts hinter den feindlichen Linien. Ein sofort gestarteter Suchflug bleibt ergebnislos. Keiner hat ihn und seine img (Werknummer 8704) je wieder gesehen.

Am selben Abend werden Marseille als viertem deutschen Soldaten die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern verliehen. Jochen kann sich nicht mehr darüber freuen. Marseille erholt sich nicht von diesem Verlust. Auch die schwere seelische Anspannung der immer härter werdenden Luftkämpfe hinterlässt seine Spuren. Der junge Berliner ist ausgelaugt, einfach fix und fertig. Dennoch unterliegen ihm am 15. September 1942 wieder sieben Curtiss P-40 in nur elf Minuten. Marseille wird von Feldmarschall Rommel eingeladen, speist mit ihm zu Abend. Doch auch Rommel ist angespannt. Er war erst kurz vor Marseilles Eintreffen von der Front zurückgekehrt.

Am 16. September 1942 wird Marseille zum jüngsten Hauptmann der Wehrmacht befördert.

26. September 1942. Es wird immer knapper. Als Jochen wieder landet, sind seine Warte entsetzt. Marseille sieht aus wie ein Gespenst. Am Morgen hatte er eine Tomahawk der 33 Squadron RAF und drei Spitfire der 92 Squadron RAF erledigt. Auch die ersten zwei Spitfire der 145 Squadron am Nachmittag waren kein Problem gewesen. Doch der dritte Gegner hatte ihm alles abverlangt. Fast eine Viertelstunde hatten sie miteinander gerungen. Das war Marseille schon lange nicht mehr widerfahren. Nur um Haaresbreite war er diesem britischen Spitzenkönner entkommen. Der ihm nicht ...

Dieser Brite ist Marseilles 158. und letzter Gegner. Ein würdiger Herausforderer, dem Jochen allen Respekt zollt. Schade um ihn, dass er nicht mehr aus der brennenden Spitfire herausgekommen war.

Ob „Seille“, wie ihn seine Kameraden nennen, noch oft an seinen Freund Stahlschmidt denkt? Und an den merkwürdigen Traum, den er ihm in jener Nacht im Zelt erzählt hatte? „Ich falle schon und spüre dennoch nichts mehr. Und ehe ich unten ankomme, ist es schon aus.“ Ob es auch eine Vorahnung ist, dass Marseille seine gute alte „Friedrich“ behalten will? Man hatte ihn am 26. September 1942 fast nötigen müssen, in eine brandneue Messerschmitt Bf 109 des verbesserten Typs G-2 zu steigen.

Die allerdings ihre Kinderkrankheiten hat. Es ist 11.30 Uhr an jenem schicksalhaften 30. September 1942, als Marseille plötzlich Rauch in der Kabine hat. Er kann nichts mehr sehen. Der Verband befindet sich auf dem Rückflug von einer Begleitschutzmission ohne Feindberührung. Es ist der erste Einsatzflug dieser spezifischen Me 109 G-2/trop. Noch befinden sie sich über feindlichem Territorium. Sie fliegen in 3.000 Meter Höhe. Durchhalten! Nur kein Absprung über Feindgebiet! Jochen will nicht in Gefangenschaft! Noch fünf Minuten bis zur Frontlinie. Dann noch drei Minuten. Marseilles „Katschmarek“ Pöttgen sieht, wie Jochen die Entlüftungsscheibe öffnet. Weißer Rauch quillt aus dem Cockpit.

Endlose Minuten vergehen. Jochen fragt per Funk, wie lange es denn noch dauere? Es klingt gequält. Offensichtlich ist das Aushalten eine Tortur geworden! Endlich erkennen die Piloten unter sich die weiße Moschee von Sidi Abd el Rahman. Geschafft! Hier sind sie über den eigenen Reihen.

Marseilles Stimme ist verzerrt. „Ich muss jetzt raus – ich halte es nicht mehr aus!“

Jochen legt die Me 109 auf den Rücken. Das Kabinendach löst sich. Dann fällt Marseilles Körper aus dem Jagdflugzeug. Er bäumt sich kurz auf, als hätte er einen Schlag erhalten. Dann fällt er weiter.

Alle warten auf den rettenden weißen Pilz des Fallschirmes. Sie warten vergebens.

Als Jochen auf der Erde auftrifft, spürt er bereits nichts mehr. Er war beim Absprung an das Heckleitwerk geschlagen und bewusstlos geworden oder möglicherweise sofort tot gewesen.

Es wurde plötzlich dunkel um ihn. Er fällt und spürt nichts mehr. Als er unten ankommt, ist es bereits aus ...

Und ein entsetzter Schrei aus vielen Kehlen geht über den Äther zu Geschwaderkommodore Neumann, der am Funkgerät die Tragödie verfolgt hatte. Stumm legt Neumann den Kopfhörer zur Seite.

Oberarzt Dr. Brick ist Regimentsarzt des Panzergrenadierregimentes 115. Er beobachtet den Absturz und findet den toten Piloten. Die Wunde über der Hüfte kann nicht vom Aufprall auf dem Boden kommen. Ebenso wenig eine scharfe Schlagwunde über der linken Brust. Der Auslösegriff des Fallschirmes steht noch in der Stellung „gesichert“. Als Brick den Orden sieht, weiß er, wen er vor sich hat.

An der Absturzstelle errichten deutsche und italienische Pioniere eine Steinpyramide. Auf dieser ist eine Gedenktafel aus Zement angebracht mit der Inschrift:

„Hier starb unbesiegt Hptm. H. J. Marseille, 30.9.1942“

Die Tage des Jagdgeschwaders 27 in Afrika sind gezählt. Auch die des Afrikakorps. Immer weniger Nachschub kann über das Mittelmeer herangeführt werden – immer mehr Nachschub erhalten die Briten. War es noch vor einem Jahr gelungen, die britische Mittelmeerinsel Malta wirkungsvoll abzuschirmen, so werden nun von dort aus immer mehr deutsche Nachschubschiffe versenkt.

Hätte man Malta doch erobert! Doch Hitler hatte gezögert, nach den schweren Verlusten der deutschen Fallschirmjäger auf Kreta einer neuerlichen reinen Luftlandeinvasion – nun gegebenenfalls auch so geplant – zuzustimmen. Mussolini wiederum hatte sein Veto gegen eine Eroberung Maltas ohne italienische Beteiligung eingelegt – das verletze den italienischen Stolz. Doch zu einer Erstürmung der Insel mit italienischer Hilfe hatte er sich auch nicht durchringen können. Denn einer Eroberung auf dem Seeweg stand die Schwäche der italienischen Flotte entgegen. Das Prestigedenken des Duce hatte die Entscheidung blockiert. Schließlich konnte man Malta auch aus der Luft neutralisieren.

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Deutsch-italienische Ehrenwache an der Unfallstelle.

Eine Zeitlang, ja. Am 15. August 1942 war der von drei Flugzeugträgern geschützte Konvoi „Pedestal“ zur Entlastung der Insel nach Malta durchgekommen. Deutsche und italienische Luftangriffe und Attacken durch italienische U-Boote hatten den Konvoi dezimiert, hatten neun Frachtschiffe, die Kreuzer „Manchester“ und „Kairo“ sowie den Zerstörer „Foresight“ versenkt. Am 11. August 1942 treffen Torpedos des deutschen U-Boots U-73 den britischen Flugzeugträger Eagle. Das riesige Schiff sinkt. Der Träger „Indomitable“ wird durch einen Luftangriff deutscher Stukas (I./StG 3) so schwer beschädigt, dass er umkehren muss. Der Frachter „Deucalion“ explodiert in 1.000 Stücke. Nur fünf der 14 Handelsschiffe kommen durch. Der Tanker „Ohio“ muss in den Hafen geschleppt werden. Doch mit dem Nachschub dieser restlichen Schiffe ist Malta nun in der Lage, in die Gegenoffensive zu gehen. Die Bristol „Beaufighter“-Torpedobomber der auf der Insel stationierten Staffeln werden zum Sargnagel des deutschen Afrikakorps. Vier der sechs großen Tank- und Munitionsschiffe, die im August das Afrikakorps versorgen sollen, werden versenkt. Natürlich ist es hilfreich, dass die Briten den Auslauftermin der Schiffe kennen. Sie brauchen nur zu warten, bis sie in Reichweite ihrer Torpedoflieger sind.

Inzwischen ist der Krieg der Geheimdienste in vollem Gange. Die Briten, ohnehin durch die Entschlüsselung des deutschen Funk-Dechiffriercodes in einem unschätzbaren Vorteil, sind nun über jeden Schachzug Erwin Rommels im Voraus im Bilde – sofern er nach Berlin gemeldet wird. Im Juli 1942 greift ein britischer Stoßtrupp eine deutsche Funkstelle bei Tell el-Eisa an. Und erbeutet extrem wertvolles Material. Aus diesem geht hervor, dass sowohl die Deutschen als auch die Italiener den amerikanischen Black Code kennen – und also den Inhalt der US-Funksprüche aus Kairo.

Das bringt den amerikanischen Militärattaché zwar in eine peinliche Lage, die britischen Geheimstäbe aber auf eine perfide Idee. Die „Organisation Ultra“, die streng geheim den deutschen Funk-Code auswertet, nutzt ihre Erkenntnisse ohnehin bereits extrem geschickt – sagen wir „clever“. Immer so sparsam, dass man auf deutscher Seite keinen Verdacht schöpft. So werden schon einmal absichtlich miserabel verschlüsselte Funksprüche an gar nicht existierende italienische Spione abgesetzt. Das erklärt den Deutschen, die ihren Bundesgenossen im italienischen Mutterland ohnehin nicht richtig über den Weg trauen, warum ihre Versorgungskonvois mit tödlicher Präzision abgefangen und auf den Grund des Mittelmeeres torpediert werden. Und setzt in Italien eine Verdächtigungswelle in Gang. Hinzu kommt nun, dass der amerikanische Militärattaché in Kairo munter weiter mit seinem entschlüsselten Black Code funken darf. Harmlose richtige und gezielt irreführende Informationen. Die echten werden nun mit einem geänderten Code übertragen.

Die Deutschen merken den Bluff nicht. Er ist zu raffiniert ausgeführt. Sie haben keinen Grund, den getürkten Funksprüchen nicht zu glauben. Ein fataler Fehler.

Kommandounternehmen machen die Wüste unsicher. Schon im Juni 1942 hatte sich ein Trupp in britischen Diensten bis zu dem Luftwaffen-Flugplatz Derna durchgeschlagen, auf dem deutsche Me 110-Zerstörer und die gefährlichen Ju 87-Stukas stationiert sind. Letztere will man mit Sprengladungen unschädlich machen.

Monatelang hatte man die Truppe gedrillt. Franzosen in echten freifranzösischen Uniformen sind unter den Planen der Lastwagen versteckt, während die LKW selbst von deutschen und österreichischen Juden gesteuert werden, die mit Hitlers Regime eine Rechnung offen haben. Sie fahren in deutschen Uniformen – was den sicheren Tod als Saboteur bedeutet, sollten sie enttarnt werden.

Die Truppe war von zwei deutschen Unteroffizieren ausgebildet worden, welche der britische Geheimdienst in einem Kriegsgefangenenlager ausfindig gemacht hatte. Erbitterte Gegner Hitlers! Die beiden bringen der perfekt deutsch sprechenden Truppe jede typische Verhaltensweise des Afrikakorps bei, selbst die derzeit kursierenden Witze und Anekdoten. Schließlich übernehmen britische Offiziere – ebenfalls fließend Deutsch sprechend – in den Uniformen des Afrikakorps das Kommando.

Die Truppe macht sich auf den Weg. Sie sind derartig täuschend echte Soldaten Rommels, dass es nicht einmal auffällt, als sie sich abends in einem deutschen Lager zum Essen fassen anstellen. Kaltschnäuzige Lügen und gefälschte Papiere bringen sie bis zum Zielflugplatz.

Als der Angriff beginnen soll, gelingt es einem der beiden ehemals kriegsgefangenen deutschen Unteroffiziere, sich geschickt von der Truppe abzusetzen. Minuten später ist der größte Teil der Sabotageeinheit von deutschen Soldaten umstellt. Der Kommandotrupp wehrt sich sofort erbittert. Die Männer wissen, was ihnen blüht.

Es gibt nur wenig Überlebende.

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P-40 „Kittyhawk“. Das Nachfolgemodell der „Tomahawk“ ist seit Anfang des Jahres 1942 in Nordafrika im Einsatz. Es handelt sich um Jagdflugzeuge der 112 Squadron.

Rommel ist es nicht gelungen, die Engländer bei El Alamein zu schlagen oder Treibstoffdepots der 8. Armee in die Hand zu bekommen. Mehrfach versucht er verzweifelt, seinen Panzern die Mobilität zu erhalten. Doch General Bernard Montgomery, der neue Oberbefehlshaber der britischen 8. Armee, hat viel von Rommel gelernt. Umfassungsoperationen, Rommels Spezialität, sind an der Front bei El Alamein nicht möglich. Der südliche Rand der Befestigungen grenzt an ein mit Flugsand angefülltes weites Tal, die Quattara-Senke. Kein Fahrzeug kommt hier durch. Jeder Ausweichversuch in dieses Wüstenmeer hinein versinkt rettungslos im Treibsand. Damit ist die Front eine statische Linie. Zum ersten Mal in Nordafrika hat es Rommel mit einer Art unumgehbarem Stellungskrieg zu tun, der seine zahlenmäßig schon immer chronisch unterlegene Streitmacht drastisch benachteiligt. Alles, was er bisher in geradezu genialer Weise an militärischen Kniffen eingesetzt hatte, um diese Unterlegenheit immer wieder durch Raffinesse wett zu machen, steht in dieser Geländekonstellation nicht zur Verfügung. Und die Überlegenheit der Gegenseite wächst, ist bereits jetzt so groß wie nie zuvor. Die Unterstützung der Amerikaner wird immer spürbarer.

Rommel versucht es am 31. August 1942 mit Gewalt. Und scheitert an der hartnäckigen Gegenwehr der Briten beim Hügel von Alam Halfa, an Treibstoffmangel und pausenlosen Angriffen aus der Luft. Und an „Ultra“, der britischen Entschlüsselung des deutschen Funk-Codes „Enigma“. Montgomery kennt die deutschen Pläne genau. Er hat es daher leicht, sich vorzubereiten und die Panzer des legendären deutschen Gegners fatal in eine sehr sorgsam aufgestellte tödliche Falle zu locken.

Rommel weiß, dass die erfolgversprechendste Stelle eines britischen Angriffs der Küstenstreifen im Norden der Front darstellt. Das weiß auch sein Gegenspieler Montgomery, der sich ungeniert als Rommels Schüler bezeichnet. Ein überaus gelehriger Schüler, wie sich herausstellen sollte.

Ein Zögling, der nun seinen Meister täuschen soll. Der vor der Aufgabe steht, eine Truppenkonzentration im Norden zu verschleiern und stattdessen im Süden vorzutäuschen. Und dies alles auf einer brettharten völlig flachen Ebene fast ohne natürliche Deckung, In der die fleißigen deutschen Aufklärer akribisch sogar jede Fahrspur in ihre Karten eintragen und auswerten.

Nur die Nacht erlaubt es, unbeobachtete Maßnahmen durchzuführen. 20.000 Liter Treibstoff werden in unzählige Kanister abgefüllt und in einem alten Schützengrabensystem versteckt, 4.000 Tonnen Waffen und Munition sowie anderes Kriegsgerät werden so gestapelt und mit Tarnnetzen versehen, dass sie wie Lastwagen aussehen. Unterkünfte werden vorgetäuscht, 3.000 Geschütze und Zugmaschinen im Nordabschnitt verwandeln sich unter den Sichtschutznetzen in die Form harmloser LKW, während im Süden unzählige Panzerattrappen aufgestellt werden – mit „echten“ Fahrspuren hinter den Ketten. Eine Pipeline wird mit aneinander gelegten leeren Kanistern simuliert – sie führt in einen scheinbar wichtigen, mit hohem Benzinbedarf und vielen „Fahrzeugen“ ausgestatteten Frontabschnitt. Es liegt nahe, dass hier der Hauptstoß erfolgen wird. Telegrafenmasten, die aus den Netzen ragen und wie Kanonenrohre aussehen, täuschen eine Artilleriekonzentration vor. Selbst Munitionsstapel werden getürkt. Es wird alles getan, die Deutschen an der Nase herum zu führen.

Dabei weiß Montgomery, dass Rommel mit solchen Tricks rechnet. Zu gut beherrscht der Wüstenfuchs die Klaviatur der Täuschung selber. Daher werden manche der Attrappen so dargestellt, dass man sie aus der Luft als solche erkennen muss. Sollen die schmunzelnden Deutschen doch glauben, dass dies alles sei und man es nicht besser könne ...

Zu allem Überfluss meldet der US-Militärattaché in Kairo ein Szenario, welches teilweise den deutschen Aufklärungsergebnissen entspricht, an unbedeutenden Details aber auch einmal widerspricht. Alles andere wäre zu auffällig!

Den Achsentruppen bleibt nichts anderes übrig, als sich hinter mächtigen Minenfeldern zu verschanzen, clever gestaffelt, Rommels „Teufelsgärten“. Doch dies ändert nichts an einer Überlegenheit britischer Panzer gegen die deutschen Kampffahrzeuge (ohne die fast nutzlosen italienischen Panzer zu zählen) von 5 : 1, es sind 1.029 gegen 211. Neuerdings haben die Briten zudem amerikanische „Sherman“-Panzer zur Verfügung, immerhin 252 davon. Sie sind mit ihrer 7,5-cm- (spätere Baureihen 7,6-cm-) Kanone den deutschen Panzer III deutlich überlegen und den Panzer IV ebenbürtig. Hinzu kommen 2.311 britische Geschütze gegen 1.219 der Achsentruppen. Den fast 200.000 Soldaten aus allen Teilen des Commonwealth stehen nur 50.000 Deutsche und 55.000 Italiener gegenüber.

Und die britische Luftwaffe beherrscht mehr und mehr den Luftraum, macht Fahrzeugbewegungen am Tage zu einem heiklen Risiko und Rommels ohnehin kritische Nachschublage noch schwieriger.

Als die britische Offensive am 23./24. Oktober 1942 auf breiter Front losbricht, ist Rommel in Deutschland. Und somit der Funkverkehr zwischen den in Ägypten verbliebenen Kommandostäben des deutschen Afrikakorps und den Dienststellen in Berlin, welche Rommel im Bilde halten, extrem aussagekräftig.

Ein mörderisches Artilleriefeuer geht dem britischen Ansturm voraus, das in dieser Konzentration auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz noch nie auch nur annähernd da gewesen war. Im Süden, in der Mitte und im Norden rollen die Panzer los. Tausende Pioniere räumen Schneisen in die Minenfelder, durch die sich die Panzerflut ergießt, begleitet von der britischen, schottischen, australischen, neuseeländischen und südafrikanischen Infanterie. Die exzellent geführte deutsche Artillerie geht zum Gegenschlag über. Die Verluste der englischen 8. Armee sind verheerend. Mehr und mehr verlagert sich das Zentrum des britischen Vorstoßes in den Norden. Verbände, die zunächst im Süden einen Ablenkungsangriff geführt hatten, werden von Montgomery nun der Hauptstreitmacht an der Küste zur Verstärkung zugeführt. Rommel eilt zurück, kann den ersten britischen Ansturm nach einer Woche härtester Kämpfe abwehren. Doch er hat nur Treibstoff für sieben Tage! Was kann er Kühnes tun ohne Spritreserven? Jede weitläufige, irgendwie überraschende Gegenreaktion verbietet sich so!

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Ein Messerschmitt Bf 110-Aufklärer wird mit einer Luftbildkamera bestückt.

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Sherman-Panzer amerikanischer Bauart werden aus Versorgungsschiffen geladen.

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Maschinengewehrstellung des deutschen Afrikakorps.

Hitler befiehlt per Funkspruch „Halten um jeden Preis“. Montgomery erfährt es noch vor Rommel!

Der deutsche Schwabe sieht die Sinnlosigkeit dieses Befehles, der die Vernichtung seiner gesamten Armee provoziert. Er gehorcht gegen seine Überzeugung. Am 1./2. November 1942 greift Montgomery erneut an. Um 01.05 Uhr zerschmettert ein gewaltiger Artillerieschlag alles, was den britischen Panzern noch im Wege steht. Nicht ganz! Der exakte Zeitplan des Angriffs ist bis auf die Minute ausgeklügelt. Er geht nicht auf. Als „Tanks“ der 8. Armee die Hochebene von Tel el Aqqaqir mit rasselnden Ketten erklimmen, heben sich ihre Silhouetten bereits deutlich im Licht der aufgehenden Sonne vor dem Hintergrund des Horizontes ab. Es ist eine tödliche Verspätung. Am Abend sind von ursprünglich 94 Panzern 75 nur noch zerschossene Wracks. Trotz aufkommendem Sandsturm ...

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Der Ansturm beginnt.

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„Tommies“ (britische Infanterie) im Schützengraben.

Rommel hat keine Wahl. Rückzug ist verboten, Passivität übergibt das Gesetz des Handelns seinem Gegenspieler, der sich die furchtbaren Verluste leisten kann. Er, Rommel, kann das nicht! Also greift er an, setzt die 21. Panzerdivision gegen die Briten in Marsch – mit dem Mut der Verzweiflung und dem letzten Tropfen Sprit. Seine Panzer haben keine Chance. Zu mächtig ist die Übermacht des Feindes. Die Panzerabwehrkanonen der britischen 8. Armee gleichen eine verglichen mit den deutschen Gegnern relativ schlechte Koordination durch schiere Masse aus. Und auch ihre Kanoniere können zielen. Die britische Artillerie ist haushoch überlegen, die Desert Air Force samt US-Hilfe auch.

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Ein abgeschossener deutscher Panzer IV. Die Wucht der Explosion hat den kompletten Turm samt Teilen des Aufbaus von der Wanne empor gehoben.

Am Abend sind nur noch 35 deutsche Panzer einsatzfähig.

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Gefangennahme einer deutschen Panzerbesatzung. Das Foto ist eventuell für die Kamera „gestellt“.

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Englische Matilda-Tanks bei El Alamein.

Rommel befiehlt nun den Rückzug – Hitler hin oder her. Alles andere kann er seinen tapferen Männern gegenüber nicht mehr verantworten – es wäre glatter Selbstmord. Die bisher hartnäckig Widerstand leistenden Italiener weichen nun bereits zurück, zeigen unter den heftigen Schlägen Auflösungserscheinungen. Lediglich die italienische Division „Ariete“ wehrt sich weiter mit größter Tapferkeit, obwohl ihre Panzer – abgesehen von einigen moderneren „Semovente“-Sturmgeschützen mit 7,5-cm-Kanone – gegen die britischen und amerikanischen Modelle allenfalls Symbolcharakter haben. Schließlich ist sie völlig vernichtet. Die deutsche 164. Division – bereits zerschlagen – wird eingeschlossen. Rommel kann nur noch einen Teil seiner Truppenteile retten – die halbwegs motorisierten mit gerade noch ausreichendem Treibstoff! Das sind größtenteils die Männer des Afrikakorps. Doch auch ihnen geht bisweilen das Benzin aus. Vielen italienischen, doch auch deutschen Einheiten fehlt die Fluchtmöglichkeit ganz. Sie halten noch stand, solange es geht, bis sie sich schließlich ergeben.

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Eine britische Hurricane Mk. IIc – inzwischen mit bis zu vier 20-mm-Kanonen ausgerüstet – im Tiefangriff auf einen Lastwagen des Afrikakorps. Bereits auf dem Seeweg werden die Transporte massiv dezimiert, den Rest besorgen die Jagdbomber der Royal Air Force.

2.400 Kilometer nordöstlich von hier hat ein anderer deutscher Befehlshaber wenige Wochen später nicht den Mut, sich Hitlers Befehl zu widersetzen. General Paulus hält auf verlorenem Posten aus. Und opfert eine ganze Armee. In Stalingrad.

Auch Rommel sollte nicht zur Ruhe kommen. Als am 8. November 1942 über 100.000 englische und amerikanische Soldaten im von der französischen Vichy-Regierung kontrollierten Marokko und Algerien an Land gehen, ist das Schicksal des Afrikakorps endgültig besiegelt. Die Franzosen wehren sich zunächst, teilweise durchaus entschlossen – doch nicht lange. Am 18. November wechseln die Vichy-Truppen die Fronten. Trotz blitzartiger deutscher Besetzung Tunesiens und souveräner Installation einer westlichen Abwehrfront ist die Niederlage der Achsenmächte in Nordafrika nun nicht mehr aufzuhalten. Ein Zwei-Fronten-Krieg gegen eine vielfache Übermacht bei gefährdeten Nachschublinien und technischem Gleichstand ist nicht zu gewinnen.

Die britische Luftüberlegenheit macht jede Taktik Rommels undurchführbar.

Rommel kann sich Respekt verschaffen und den Amerikanern am Kasserine-Pass an der algerischen Grenze im Februar 1943 noch einmal eine vernichtende Niederlage zufügen, doch der Untergang seiner Armee ist nur noch eine Frage der Zeit. Seetransporte sind fast unmöglich, der Nachschub wird auf dem Luftwege transportiert. Als der Kessel in Tunesien immer kleiner wird, befinden sich die Luftwege innerhalb der Reichweite britischer und amerikanischer Jäger.

Deren Überzahl kann von der deutschen Jagdeskorte nicht in Schach gehalten werden. Die langsamen, schwerfälligen Junkers Ju 52-Transportflugzeuge sind mit ihrem einen Abwehr-MG praktisch wehrlos. Es ist ein grausames Massaker – mehr als einmal. Mit Benzin beladene Transportflugzeuge zerbersten in einem Feuerball, mit Männern beladene Ju 52 feuern aus allen Löchern – die Soldaten zerschlagen die Fensterscheiben der Transporter und schießen im Angesicht des Todes verzweifelt mit ihren Maschinengewehren aus den Rumpfseiten.

Es nützt nicht viel. Es gibt genügend tote Winkel zum Angriff. Nach hinten unten feuert niemand ...

Viele Transportflugzeuge zerschellen mit allen Mann an Bord im Wasser des Mittelmeeres.

Am 13. Mai 1943 kapitulieren die letzten Reste des Afrikakorps bei Tunis. 240.000 deutsche und italienische Soldaten gehen in Gefangenschaft. Sie werden bei der Verteidigung Italiens bitter fehlen.

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Erwin Rommel, der „Wüstenfuchs“. Laut ihm ist die Royal Air Force „kampfentscheidend“.

„The Germans have received back again that measure of fire and steel which they have so often meted out to others. Now this is not the end. It is not even the beginning of the end. But it is, perhaps, the end of the beginning.“

“Die Deutschen mussten das Maß an Feuer und Stahl nun einmal selber einstecken, welches sie so oft an andere ausgeteilt haben. Das ist jetzt nicht das Ende! Es ist noch nicht einmal der Anfang vom Ende! Aber es ist, vielleicht, das Ende vom Anfang!“

Winston Churchill, 10. November 1942, nach dem Sieg von El Alamein.

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Quellen:

img WASt – Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin. Verluste der deutschen Luftwaffe via Recherche Salonen.

img „Luftkampf zwischen Sand und Sonne“/Motorbuch-Verlag 1969/Hans Ring & Christopher Shores.

img „PIK-AS“ Geschichte des Jagdgeschwaders 53 Teil 1 – Teil 3/Struve Druck Eutin/Jochen Prien.

img „Messerschmitt Bf 109 im Einsatz bei der (I./II./III./IV.- 3 Bände) Jagdgeschwader 27/Struve Druck Eutin/Jochen Prien, Peter Rodeike und Gerhard Stemmer.

Hinweis: grundsätzlich werden in dieser Tabelle Verluste an Menschenleben und/oder Material nur dann gewertet und gezählt, wenn sie durch „Feindeinwirkung“ zustande gekommen sind. Havarien wie Zusammenstöße in der Luft, Start- und Landeunfälle ohne Beschussschäden, technische Defekte oder ähnliche Absturzursachen kommen auch in Friedenszeiten vor und werden zwar im Feld „Bemerkungen“ genannt, jedoch nicht als „Abschuss“ bzw. „Verlust“ gewertet. Dasselbe gilt für Notlandungen nach Benzinmangel oder versehentliche Abschüsse durch eigene Jäger bzw. Flak-Geschütze.

Zu den genannten Verlusten ist der Abschuss einer Focke-Wulf 58 B-2 durch eine Spitfire anlässlich eines Seenotfluges vor Sizilien zusätzlich erwähnenswert. Es handelt sich bei der Besatzung um Mitglieder des Stabes der II./JG 53. Leutnant Hollmann wird verwundet, drei weitere Männer werden unverletzt geborgen. Ferner „baut“ ein Pilot der 4./JG 53 mit einer Me 109 F-4 durch Bedienungsfehler eine Bruchlandung auf der italienischen Insel Pantelleria (Beschädigungsgrad 60 %), bleibt aber unverletzt. Diese beiden Vorgänge sind dem Kriegschauplatz Malta imgItalienzuzuordnen und daher in der Tabelle über Verluste und Abschüsse der deutschen Luftwaffe in Nordafrika nicht aufgeführt.

Ferner ist erwähnenswert, dass die Verluste der I./StG 3 in den Listen der WASt anders definiert werden als durch die Autoren Ring/Shores, nämlich zwei Gefallene und sechs Vermisste. Unter „Vermisst“ können jedoch auch ohne deutsche Kenntnis in Gefangenschaft geratene Männer fallen, sodass dem Autor die sehr detaillierte Darstellung der beiden genannten Autoren glaubhafter erscheint.

*1Hinweis: nach der Ausbuchtung unter der Tragfläche neben dem Radkasten zu urteilen, handelt es sich nicht um eine Version E-1, sondern E-3 oder E-4, vgl. img „Die Geschichte des Jagdgeschwaders 77“ Teil 1/Struve Druck Eutin/Jochen Prien. Auf Seite 375 ist dort ein zweites Foto dieser Maschine zu sehen, die einen ganz kleinen Ausschnitt der Windschutzscheibe abbildet. Nach deren Form zu schließen handelt es sich um eine Me 109 E-4. Die erste Me 109, in der Marseille am 2. September 1940 eine Bauchlandung liefert, ist aber eine E-1.

*2Die Duplizität der Notlandeorte ergibt sich aus img „Hans-Joachim Marseille“/Flechsig Verlag Würzburg 2005/Franz Kurowski. Laut img „Die Geschichte des Jagdgeschwaders 77“ Teil 1/Struve Druck Eutin/Jochen Prien, geht Marseille am 2. September 1940 bei Calais-Marck herunter und am 11. September 1940 circa 20 Kilometer westlich bei Wissant. Die dritte Bauchlandung Marseilles wird als solche erwähnt, aber nicht datiert (am 28. September findet sich lediglich der Eintrag: „I./LG 2 Motorschaden, Bauchlandung Théville, 35 % Bf 109 E-7 WNr.4091“).

*3vgl. img „Luftkampf zwischen Sand und Sonne“/Motorbuch-Verlag 1969/Hans Ring & Christopher Shores, Seite 64, demnach könnte es sich erneut bei Marseilles Bezwinger um Sous Lieutenant Denis handeln. Prien (a.a.O.) schreibt auf Seite 540 „Luftkampf Jäger“ als Abschussursache, Kurowski nennt den 14. Juni 1941 ...

*4Hinweis: diese Aufnahme entsteht vermutlich sehr viel früher nach einem Flak-Treffer bei Tiefangriffen auf den jugoslawischen Flugplatz Laibach am 6. April 1941 kurz vor der Verlegung der 3./JG 27 von Graz nach Afrika.

*5Quelle: img„Luftkampf zwischen Sand und Sonne“/Motorbuch-Verlag 1969/Hans Ring & Christopher Shores.

*6vgl.: img „Messerschmitt Bf 109 im Einsatz bei Stab und I./Jagdgeschwader 27“/Struve Druck Eutin/Jochen Prien, Peter Rodeike und Gerhard Stemmer, Originalfotos auf Seite 274f und 282 ff, siehe vor allem S. 282 und 283, ferner Foto von Hans-Arnolfd „Fiffi“ Stahlschmidt auf Seite 265.

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